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Die Erinnerung an die Habsburgermonarchie in der ukrainischen Kultur der Gegenwart
Roman Dubasevych
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Alois Woldan
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.30055
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-30280.04363.919666-3
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die vorliegende Dissertation untersucht die heutige westukrainische Erinnerungslandschaft, insbesondere die Renaissance der Erinnerung an die Habsburgermonarchie im künstlerischen Milieu der Städte L’viv und Ivano-Frankivs’k seit der Unabhängigkeit. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entdeckten westukrainische Autoren und Intellektuelle wie Jurij Andruchovyč und Taras Prohas’ko, Künstler wie Volodymyr Kaufman oder Volodymyr Kostyrko die Habsburger Epoche als Ausgangspunkt einer kulturellen Neuorientierung, deren Ziel unter anderem eine symbolische Reintegration nach Europa war. Im Zentrum der Arbeit stehen verschiedene Repräsentationen dieses Rekurses von der Literatur über die bildende Kunst hin zum aufblühenden Tourismus und zur Kaffeehauskultur dieser Städte. Der Rückgriff auf die Habsburger Zeit wird einerseits im Sinne einer kontrapräsentischen Erinnerung (Jan Assmann) gegen den sowjetischen Alltag, andererseits gegen den dominanten nationalistischen Diskurs analysiert. Der postsowjetische und postnationale Charakter der Rückkehr der Habsburger manifestierte sich in der Aufwertung der einstigen kulturellen Heterogenität des Habsburger Galizien gegenüber der sowjetischen und nationalistischen Homogenisierung, der Tradition gegenüber dem revolutionären Fortschrittspathos. Ebenso wurden nun hybride übernationale Räume wie Zentraleuropa oder Karpaten gegenüber der Vorstellung eines einheitlichen und expansiven Nationalstaates, die „Geopoetik“ (Jurij Andruchovyč) gegenüber der Geopolitik favorisiert. Im ersten Teil der Arbeit, der im Zeichen des postmodernen Dialogs mit der Vergangenheit steht, tritt die westukrainische Habsburger Nostalgie zunächst als Strategie der Pluralisierung einer posttotalitären Erinnerungskultur zutage. Es wird gezeigt, wie unter der symbolischen Ägide der Habsburger, Autoren wie Jurij Andruchovyč einen Versuch der Rekonstruktion der verlorenen multikulturellen Vergangenheit Galiziens starten und sich dabei dem Anderen der ukrainischen Geschichte – den marginalisierten Narrativen der Polen, Juden, Roma und Österreicher nähern. Auf der einen Seite erfolgt die Erinnerung an die Habsburger als eine ironische Geste, die die Qualität einer postkolonialen Subversion (Homi Bhabha) erreicht. Auf der anderen Seite wird die karnevaleske Dekonstruktion hegemonialer Ordnungen durch ihre latenten Bezüge zu einem weitgehend eurozentrischen und ethnozentrischen Kontext sowie ihre oberflächliche Struktur relativiert. Ausgehend davon erhellt der zweite Teil die regressiven Seiten der Habsburger Erinnerung. Während ihre positive Bilanz in die Rehabilitierung des Anderen und in Kritik der gewaltsamen Aspekte der Moderne gipfelt, schlägt ihre negative Seite mit der Idealisierung des multiethnischen Zusammenlebens unter der Habsburger Herrschaft zu Buche. Die Vorstellung von einer friedlichen Koexistenz der galizischen Ethnien verschleiert nicht nur ihr Neben- bzw. Gegeneinander, sondern führt zu einer Externalisierung der Verantwortung für die Gewalt, die ethnozentrische und eurozentrische Kategorien akkumulieren können. Die Analyse macht ferner deutlich, dass die „Europäisierung“ qua Habsburg eine schärfere Abgrenzung gegenüber dem Osten zur Folge hat und sich in die größere Tradition des ukrainischen Okzidentalismus und Orientalismus fügt. Die auffallende Korrelation des subalternen Status der Habsburger Ukrainer mit ihrer Tradition der Orientalisierung Asiens bzw. Russlands bestätigt schließlich Heidemarie Uhls These über den reproduktiven Charakter kolonialer bzw. imperialer Gewalt. Durch ihren kulturwissenschaftlichen Fokus sowie Einsatz der Theorien des kulturellen Gedächtnisses, der postkolonialen Forschung sowie der Psychoanalyse bietet die vorliegende Arbeit eine interdisziplinäre, intermediale und komparatistische Studie der heutigen westukrainischen Erinnerungs- und Identitätsdebatte.
Abstract
(Englisch)
This thesis explores the memory landscape in contemporary Western Ukraine, notably the renaissance of the memories of the Habsburg Empire in the artistic milieu of the cities of L’viv and Ivano-Frankivs’k since Ukrainian independence in 1991. After the collapse of the Soviet Union, Ukrainian authors and intellectuals such as Yuriy Andrukhovych, Taras Prokhas’ko, artists such as Volodymyr Kaufman or Volodymyr Kostyrko discovered the Habsburg era as a starting point of a new cultural orientation which aimed inter alia at a symbolic reintegration into Europe. This study focuses on the various representations of this recourse from literature through visual art to the flourishing tourism and coffee house culture of these cities. On the one hand, the choice of the Habsburg colonial past as a point of reference is analyzed in terms of “counterpresent memory” (Jan Assmann) against the backdrop Soviet everyday life, on the other – against the now prevalent nationalist discourse. The post-Soviet and post-national character of this surprising return of the Habsburg empire manifested itself in the revaluation of the former cultural heterogeneity of the Habsburg Galicia against the Soviet and nationalistic homogenization, of the tradition against the pathos of revolutionary progress. Likewise were the hybrid supranational spaces such as Central Europe or Carpathian mountains favored now over the idea of a unified and expansive nation state, “geopoetics“ (Yuriy Andrukhovych) over geopolitics. In the first part of the work, which develops under the sign of the postmodern dialogue with the past, the western Ukrainian Habsburg nostalgia initially emerges as a strategy of pluralization of the post-totalitarian memory culture. It is shown how under the symbolic auspices of the Habsburgs authors such as Andrukhovych start an attempt to reconstruct the lost multicultural past of Galicia and in so doing approach the Other of Ukrainian history – the marginalized narratives of Poles, Jews, Roma and Austrians. On the one hand, the memory of the Habsburg represents an ironic gesture that reaches the quality of a post-colonial subversion (Homi Bhabha). On the other, the carnivalesque deconstruction of hegemonic orders is undermined by its implicit references to a largely euro- and ethnocentric context and superficial structure. Building on this argument, the second part illuminates the regressive side of the Habsburg memory. While its achievement culminates in the rehabilitation of the Other and in criticism of the violent aspects of modernity, its negative side manifests itself in the idealization of multi-ethnic coexistence under the Habsburg rule. The idea of a peaceful cohabitation of ethnic groups in Galicia veils not only the isolation or antagonisms between their worlds, but leads to externalization of responsibility for the violence that ethno- and Euro-centric categories may exert. The analysis also makes clear that the “europeanization“ qua Habsburg implies a sharper dissociation from the East and fits into a larger tradition of the Ukrainian Occidentalism and Orientalism. The conspicuous correlation of the subaltern status of the Habsburg Ukrainians with their tradition of the orientalization of Asia and Russia reasserts finally Heidemarie Uhl's thesis on the reproductive character of colonial or imperial violence. Through its focus on a wide range of cultural phenomena and the use of theories of cultural memory, the post-colonial studies and psychoanalysis the thesis offers an interdisciplinary, intermedia and comparative study of present-day memory and identity debate in Western Ukraine.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Memory of the Habsburg Empire the Habsburg myth in Ukraine cultural memory contemporary Ukrainian culture Galicia postmodernism Post Colonial Studies in Central and Eastern Europe Occidentalism Eurocentrism post-Soviet cultural condition
Schlagwörter
(Deutsch)
Erinnerung an die Habsburger Habsburger Mythos in der Ukraine das kulturelle Gedächtnis ukrainische Kultur der Gegenwart Galizien Postmoderne Post Colonial Studies in Mittel- und Osteuropa Okzidentalismus Eurozentrismus postsowjetische Kultursituation
Autor*innen
Roman Dubasevych
Haupttitel (Deutsch)
Die Erinnerung an die Habsburgermonarchie in der ukrainischen Kultur der Gegenwart
Paralleltitel (Englisch)
The memory of the Habsburg Empire in contemporary Ukrainian culture
Publikationsjahr
2013
Umfangsangabe
394 S. : Ill.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Alois Woldan ,
Stefan Simonek
Klassifikationen
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.70 Literaturwissenschaft: Allgemeines ,
17 Sprach- und Literaturwissenschaft > 17.74 Literaturwissenschaftliche Richtungen ,
18 Einzelne Sprachen und Literaturen > 18.51 Ostslawische Sprachen und Literaturen: Allgemeines ,
20 Kunstwissenschaften > 20.05 Kunst in Beziehung zu anderen Wissenschaftsgebieten
AC Nummer
AC11077513
Utheses ID
26798
Studienkennzahl
UA | 092 | 312 | |
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