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Ikonografie der Mutterschaftsmystik
Interdependenzen zwischen Andachtsbild und Spiritualität im Kontext spätmittelalterlicher Frauenmystik
Brigitte Eleonore Zierhut-Boesch
Art der Arbeit
Diplomarbeit
Universität
Universität Wien
Fakultät
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
Betreuer*in
Martina Pippal
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.407
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-29703.52428.731064-7
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Ziel der Arbeit war es, eine Werkgruppe zusammenzustellen, die mit dem Phänomen der Mutterschaftsmystik in Beziehung gesetzt werden kann. Der Vergleich von Bildwerken aus dem Kontext spätmittelalterlicher Frauenklöster mit Texten der Visionsliteratur hat die Manifestation dieser charakteristischen Form der Spiritualität in Wort und Bild gleichermaßen dokumentiert. Die Analyse hat ergeben, dass den Inhalten gelebter Frömmigkeit des Spätmittelalters komplementäre Bildmotive der Kunst gegenübergestellt werden können, die sich decken und in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Die Praxis der Bildandacht fungierte dabei als wesentlicher Katalysator gegenseitiger Beeinflussung von schriftlicher, bildlicher und real erlebter Spiritualität. Aus der Zusammenstellung und Analyse der Bildwerke, die dem mutterschafts-mystischen Kontext zugeordnet werden können, ergibt sich eine Reihe von ikonografischen Motiven, die sich entsprechend dem liturgischen Kalender den aufeinander folgenden Festen des kirchlichen Jahreskreises zuordnen lassen: Im spätmittelalterlichen Kult konnten Darstellungen der Maria Gravida »foetus type« in Verbindung mit dem Fest der Verkündigung stehen. Die Visitatio »foetus type« illustrierte die Begegnung der schwangeren Frauen Maria und Elisabeth, welche im Fest Mariä Heimsuchung begangen wurde. Das autonome Christuskind bzw. das Christuskind in der Christkindwiege, sowie Maria im Wochenbett waren reduzierte Varianten des traditionellen Weihnachtsmotivs und bildeten den Fokus weihnachtlicher Andacht und Kulte. Als Andachts- bzw. Brauchbilder zum Fest der Taufe des Herrn bzw. der Beschneidung Jesu am 3. Sonntag nach Weihnachten sind entsprechende Christkinddarstellungen erhalten. Auch das traditionelle Bildmotiv der Maria mit Kind kann als reduzierte Darstellung der Anbetung Jesu interpretiert werden und mit dem Fest der Epiphanie, der Erscheinung des Herrn in Beziehung gesetzt werden. Zuletzt konnten autonome Christkinddarstellungen sowie Mariendarstellungen mit abnehmbarem Kind mit dem Fest der Darbringung Jesu im Tempel, Mariä Lichtmess in Verbindung gebracht werden. Die plastischen Bildwerke dienten primär als Andachtsbilder und stimulierten Devotion, Meditation und Visionen der Mystikerinnen. Anlässlich der liturgischen Feste konnten sie allerdings auch im Rahmen unterschiedlicher Kulte als Brauchbilder fungieren bzw. als öffentliche, »liturgische Brauchbilder« vorübergehend in der offiziellen Liturgie Verwendung gefunden haben. Im Zuge der Analyse der Werke, bildlicher und schriftlicher Quellen konnten unterschiedliche Formen der Bildpraxis nachgewiesen werden, in welchen die Skulpturen als Medien verschiedenster Rezeptionsmuster dienten: 1.Einzelandacht in der Zelle 2.Einzelandacht im Nonnenchor 3.Gemeinsame Andacht im Nonnenchor 4.Ständiges bei sich Tragen des Andachtsbildes: vgl. die Elfenbeinstatue der hl. Hedwig von Schlesien 5.Verwendung in Prozessionen zu Mariä Lichtmess 6.Verwendung als Brauchbild im Rahmen liturgischer und paraliturgischer Kulthandlungen a.Aufstellen der »Maria im Wochenbett« im Chor b.Christkindwiegen c.Bekleiden des Christkindes und der Maria d.Wickeln des Christkindes e.Beschneidung des Christkindes 7.Vision der Lebendigkeit und autonomes »Tätigwerden« des Bildwerks: vgl. das Jesuskind der Margarethe Ebner, das sich an die Nonne wendet und von ihr gestillt werden möchte. Alle diese Bildpraktiken können in Verbindung mit den dafür verwendeten Bildwerken für den frauenklösterlichen Kontext nachgewiesen werden und belegen die zentrale Rolle dieser Medien im Rahmen der spätmittelalterlichen Frömmigkeitspraxis. Tatsächlich repräsentieren sie jenen spirituellen Fokus der mystischen Bewegung, der sich um die Kindheit Jesu rankte und der sein Anliegen einer geglückten Gottesbeziehung in der innigen Liebe und Fürsorge der Mutter zu ihrem Kind fand. Die Mariendarstellungen vermittelten daher nicht mehr das Bild einer unnahbaren, ins Übermenschliche gesteigerten erhabenen Gottesmutter. Als zärtliche Mutter hatte die in Bildern gegenwärtige Maria appellative Wirkkraft auf den Betrachter. In der Absicht, die Heilsgeschichte visuell zu erfahren und aktiv in der Gegenwart zu erfahren, traten die religiösen Frauen mit dem Bild in dialogischen Kontakt. Dabei wurde das Andachtsbild zum Ausdruck und Katalysator der spirituellen Anstrengungen. Dementsprechend unterlagen die Bildmotive der Menschwerdung und Kindheit Jesu einem vierstufigen Wandel. Ausgehend vom streng repräsentativen, hierarchischen Gepräge früherer Darstellungen führte die Entwicklung seit dem 13. Jahrhundert zunehmend in die Richtung einer Dialogisierung des Bildes. Zunächst innerhalb der Darstellung, indem die früher isolierten Protagonisten der Szene stärker miteinander in Beziehung treten durften, zweitens, und zugleich als Steigerung der Tendenz, indem das Bild selbst zum Dialogpartner des andächtigen Bildbetrachters werden konnte, drittens, indem das Medium als Brauchbild zum handelnden Gegenüber in vielfältigen Bilderkulten avancierte und schließlich viertens als Kulmination der Entwicklung, indem es in den Visionen der Mystikerinnen zum lebendigen Wesen erwachen und Teil der gelebten Realität sein konnte. Tabelle: Phasen der dialogischen Entwicklung von Bildwerken im Kontext spätmittelalterlicher Bildpraxis Phase der dialogischen Entwicklung Beispiel Phase 0 Repräsentatives, hierarchisches Gepräge Abb. 57: Thronende Muttergottes, Köln, 3. Viertel 12. Jh., Kloster Marienborn, Zülpich-Hoven Phase 1 Dialogisierung innerhalb der Darstellung Abb. 18: Maria im Wochenbett, aus dem Benediktinerinnenkloster Oesede, Westfalen (?), um 1350 Phase 2 Bild als Dialogpartner Abb. 61: Stehende Muttergottes mit Kind aus St. Katharinenthal, kurz nach 1300, ehemalige Klosterkirche St. Katharinenthal in Dießenhofen, Kanton Thurgau Phase 3 Bild als interaktives Gegenüber im Kult Abb. 26: „Sarner Kindli“, Jesuskind, um 1360, Benediktinerinnenkloster St. Andreas in Sarnen, Schweiz Abb. 65: Maria mit Kind, 13. Jh., Elfenbein, Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn Phase 4 Lebendigwerden des Bildes Abb. 1: Christkind der Margaretha Ebner ?, um 1320, Kloster Maria Medingen Die unverwechselbare Ikonografie, deren Inhalt die unterschiedlichen somatischen Aspekte der leiblichen Mutterschaft bilden, hat sich überwiegend in Bildwerken aus oder in Frauenklöstern erhalten. Wenngleich die Umstände ihrer Entstehung nicht eindeutig rekonstruiert werden können, so ist deren spezifische Ausformung dennoch mit Sicherheit vom Kontext der spätmittelalterlichen Frauenmystik geprägt. Die weiblichen Auftraggeber und Nutzer von Andachtsbildern bedienten sich teilweise zwar traditioneller Bildmotive. Die Betonung und Schwerpunktsetzung im einzelnen Motiv konnte allerdings zur Schaffung neuer Bildtypen führen, Andachtsbilder, die aus der überlieferten Tradition einen neuen isolierten Fokus schufen. Aus szenischen Vorlagen wurden einzelne Charaktere, vornehmlich Maria und Jesus, herausgenommen und in ihrer ganzen Menschlichkeit dargestellt. Das Körperliche, Somatische, unmittelbar Begreifbare war der Impetus der Motive, die hier beschrieben wurden. Die Schwangerschaft der Maria, die Milch gebende Maria, das Christkind in der Wiege, das Jesuskind mit seiner Mutter in zärtlicher Berührung sind die Themen, die auch die Themen der Frömmigkeit im generellen, der mystischen Visionen im Speziellen waren. Der Vergleich der Bildwerke mit Textquellen der Visionsliteratur hat die Manifestation der mutterschaftsmystischen Spiritualität in Wort und Bild gleichermaßen dokumentiert. Die Analyse hat ergeben, dass den Inhalten gelebter Spiritualität des Spätmittelalters komplementäre Bildmotive der Kunst gegenübergestellt werden können, die sich decken und in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Die Praxis der Bildandacht fungierte als wesentlicher Katalysator gegenseitiger Beeinflussung von schriftlicher, bildlicher und real erlebter Spiritualität. Diese dreifachen Manifestationen können vor dem Hintergrund des geistesgeschichtlichen Kontextes jener Zeit als Zeugnisse ein und derselben Realität verstanden werden, die neue Formen affektbezogener Frömmigkeit, literarischer und bildlicher Darstellungen hervorgebracht hat. Motive der Mutterschaftsmystik appellierten an die Gefühle der Frauen und luden ein zur individuellen Begegnung mit Gott in seiner kindlichen Gestalt. Der Wunsch der Mystikerinnen, Christus als Ungeborenem im Mutterleib, als Neugeborenem, als Kind im Bild leibhaftig zu begegnen, sich mit ihm in mütterlicher Liebe zu vereinen, war das gemeinsame, elementare Motiv, das allen Ausdrucksformen der Mutterschaftsmystik zu Grunde lag und uns in den Bildwerken der Mutterschaftsmystik sichtbar erhalten bleibt.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
Ikonografie Andachtsbild Gotik Mystik Spätmittelalter Skulpturen Maria im Wochenbett Christkind Christkindwiege Maria Gravida Maria Lactans visuelle Bildpraxis
Autor*innen
Brigitte Eleonore Zierhut-Boesch
Haupttitel (Deutsch)
Ikonografie der Mutterschaftsmystik
Hauptuntertitel (Deutsch)
Interdependenzen zwischen Andachtsbild und Spiritualität im Kontext spätmittelalterlicher Frauenmystik
Publikationsjahr
2007
Umfangsangabe
118, [68] S.
Sprache
Deutsch
Beurteiler*in
Martina Pippal
Klassifikation
20 Kunstwissenschaften > 20.20 Ikonographie
AC Nummer
AC06648415
Utheses ID
298
Studienkennzahl
UA | 315 | | |
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