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Die deutsche Mindheit in Ostböhmen
Sonderfall Schatzlar
Reinhard Suchomel
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie Soziologie, geisteswissenschaftl.Stzw
Betreuer*in
Roland Girtler
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.49080
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-20780.17948.885062-5
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(Print-Exemplar eventuell in Bibliothek verfügbar)

Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Vorab sei das Ziel dieser Forschung genannt: den Wandel einer Stadt und ihrer Umgebung in Anbetracht der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen darzustellen und ihn nachvollziehbar zu machen. Den roten Faden bildet dabei die Unterscheidung der zwei Narrative, also die unterschiedliche Erzählung der Geschichte eines Landes bzw. einer Region seitens der deutschen und der tschechischen Einwohner des heutigen Tschechien, wobei hier die Sicht der Deutschen im Vordergrund steht. Die Arbeit setzt sich mit der deutschen Minderheit in Ostböhmen anhand des Sonderfalls Schatzlar auseinander, da hier nach der sogenannten Aussiedlung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg eine beträchtliche Anzahl von Deutschen verblieb bzw. zurückbehalten wurde, vor allem um den Betrieb des Steinkohlebergwerks sicherzustellen. Allein diese Tatsache widerspricht der medial in den letzten Jahrzehnten vermittelten totalen Auslöschung deutschen Lebens nach 1945. Den Schwerpunkt bildet dabei das 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart, wobei vor allem die politischen Umwälzungen sowie das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen im Mittelpunkt stehen. Ausgangspunkt der Forschung bildet der Ansatz Max Webers, der die Aufgabe der Soziologie darin sieht, soziales Handeln deutend zu verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich zu erklären (Weber, Soziologische Grundbegriffe, S. 19). Um den Wandel in Schatzlar und dem östlichen Riesengebirge darzustellen, orientierte ich mich methodisch an dem von Girtler entwickelten ero-epischen Gespräch, mit dessen Hilfe ich das sensible Thema bearbeitete. In diesen Gesprächen kristallisierten sich Schwerpunkte dieser Forschung heraus (siehe unten). Des Weiteren soll die Lebenswelt - ein Begriff, den Schütz prägte und mit dem sich auch Girtler in seinen „Methoden der Feldforschung“ kritisch auseinandersetzt - der Deutschen beleuchtet werden. Darüber hinaus stellten Ergebnisse der regionalen Forschung (Riesengebirge, insbesondere Schatzlar) wichtige Impulse für diese Arbeit dar. Zentrale Quellen der Forschung bildeten neben den Aussagen der Gewährspersonen in den ero-epischen Gesprächen Arbeiten von Adrian von Arburg, Tomáš Staněk, Pavel Klimeš u. a. Im ersten Hauptteil (Wechselbeziehungen) zeige ich anhand der Sprache und der Sagenfigur Rübezahl, wie stark hier gegenseitige Beeinflussung und Abgrenzung das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechien prägten. Im zweiten Hauptteil steht zu Beginn der Aspekt der Grenze im Vordergrund. Zunächst befasse ich mich mit der Siedlungsgeschichte der Region, wobei nach der deutschen Ostkolonisation die Holzknechte aus Schwaz (und anderen voralpinen Regionen) im 16. Jahrhundert eine zentrale Rolle für die Besiedlung des Riesengebirges spielen. Danach erfolgt die Darstellung der böhmisch-schlesischen Grenze im Kontext mit den Auseinandersetzungen zwischen Österreich und Preußen, später mit der tschechoslowakischen Absicherung in der ersten Republik. In Anbetracht der demographischen Verhältnisse (tschechischsprachige Besiedlung im Innenland (mit Ausnahme einiger Städte), deutschsprachige Besiedlung in den Randgebieten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs - "Randlböhm´") beschäftige ich mich mit der Sprachgrenze, wobei Schulen große Bedeutung erlangten. So bemühten sich vor 1918 zugewanderte Tschechen um eine eigene Schule, nach 1945 musste die deutsche Bevölkerung auf eine deutschsprachige Ausbildung ihrer Kinder verzichten. Eine Einrichtung, die bis 1938 die Sprachgrenze überwand, war der sogenannte Austausch, im Zuge dessen deutschsprachige Schüler für ein Jahr in tschechisches Siedlungsgebiet (und umgekehrt) zogen, um die andere Sprache zu erlernen. Nach einem kurzen Überblick über die Lage und Geschichte der Stadt Schatzlar sowie ihre Industrie und Persönlichkeiten rückt die Perspektive der deutschsprachigen Bevölkerung in den Focus - im Sinne der in der Forschung wahrgenommenen zwei Narrative (deutsches und tschechisches). Meine deutschen Gewährspersonen erzählen hier die Geschichte mit all ihren Bruchlinien, wie sie sie sehen. So wird die Aussiedlung der Tschechen aus dem Grenzgebiet von den Deutschen als nicht brutal empfunden, während die Schließung deutscher Schulen und die Neubesiedlung des Grenzgebiets (osídlování) nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Irritation darstellten. Vor allem die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die Deutschen als Zeit der Stigmatisierung und Diskriminierung wahr. Immerhin boten nach 1968 Organisationen wie der Kulturverband der Deutschen Möglichkeiten zur Pflege der deutschen Kultur und Sprache. Darüber hinaus bildeten nach 1989 das Begegnungszentrum Trautenau und das städtische Museum Schatzlar Orte der differenzierten Auseinandersetzung mit der Geschichte Ostböhmens. Trotzdem kann man in Anbetracht des Verlustes der sprachlichen Domäne Familie – verursacht eben durch Stigmatisierung und Diskriminierung - von einem Sprachtod sprechen. Wie anfangs erwähnt stellte das Bergwerk (erster Teil des Aspekts Lebenswelt) den Grund für den Verbleib relativ vieler Deutscher dar, weshalb ich mich in diesem Kapitel mit der Geschichte des Bergbaus, aber auch mit der damit verbundenen Kultur (Humor, Spitznamen, Bergmannssprache, Tracht, Arschleder, Bergmannsehre) und ihrem Untergang befasse. Eng damit verbunden war der Bau der sogenannten Roten Kolonie (zweiter Teil des Aspekts Lebenswelt), die in der Tradition der Arbeiterkolonien des 19. Jahrhunderts steht und mit der eine aus soziologischer Sicht bemerkenswerte Wohn- und Sozialform im Gegensatz zu den Bürgerhäusern im historischen Kern Schatzlars entstand. Abschließend stehen die nahe Schatzlar im Riesengebirge gelegenen Bauden im Mittelpunkt der Betrachtung (dritter Teil des Aspekts Lebenswelt). Zunächst als einfache Unterkünfte für die Holzarbeiter dienend entwickelten sie sich zu bäuerlichen Behausungen (Milchwirtschaft, Bergbauern). Mit der rasanten Entwicklung des Tourismus im 19. Jahrhundert wandelten sich viele Bauden in große Berghotels, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wechselhafte Geschichte erfuhren: Treffpunkt politischer Gruppierungen (Nationalsozialisten und Sozialisten), Lazarette im Zweiten Weltkrieg, Verwaisung nach der Aussiedlung und vielfach Untergang. An diese Auseinandersetzung knüpfe ich Beobachtungen zum Umgang mit diesem historischen Erbe wie etwa durch die Organisation Antikomplex, die sich um eine neue Bewertung der Deutschen auf dem Boden des heutigen Tschechien bemüht.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Deutsch)
deutsche Minderheit in Tschechien Ostböhmen Schatzlar Riesengebirge Schneekoppe Stigmatisierung Diskriminierung Assimilation Steinkohlebergwerk Bergmannstradition rote Kolonie (Arbeiterwohnsiedlung) Bauden (Riesengebirgsarchitektur)
Autor*innen
Reinhard Suchomel
Haupttitel (Deutsch)
Die deutsche Mindheit in Ostböhmen
Hauptuntertitel (Deutsch)
Sonderfall Schatzlar
Paralleltitel (Englisch)
The German minority of Eastern Bohemia
Publikationsjahr
2017
Umfangsangabe
311 Seiten : Illustrationen
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Roland Girtler ,
Gero Fischer
Klassifikationen
15 Geschichte > 15.07 Kulturgeschichte ,
15 Geschichte > 15.61 Tschechien, Slowakei, Ungarn ,
71 Soziologie > 71.61 Diskriminierung ,
71 Soziologie > 71.62 Ethnische Beziehungen ,
71 Soziologie > 71.63 Minderheitenproblem
AC Nummer
AC14502088
Utheses ID
43381
Studienkennzahl
UA | 092 | 122 | |
Universität Wien, Universitätsbibliothek, 1010 Wien, Universitätsring 1