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Der Rechtsstaat und der existenzialistische Vorbehalt
Jürgen Habermas und Carl Schmitt
Manfred Kappel
Art der Arbeit
Dissertation
Universität
Universität Wien
Fakultät
Fakultät für Sozialwissenschaften
Studiumsbezeichnung bzw. Universitätlehrgang (ULG)
Dr.-Studium der Philosophie Politikwissenschaft
Betreuer*in
Karl Ucakar
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Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved
DOI
10.25365/thesis.49912
URN
urn:nbn:at:at-ubw:1-17122.46935.504760-0
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Abstracts

Abstract
(Deutsch)
Die vorliegende Dissertation thematisiert die diametral entgegengesetzten Sichtweisen von Habermas und Schmitt auf die Institution des demokratischen Rechtsstaats. Für Habermas ist der demokratische Rechtsstaat die adäquateste Antwort auf die Integrations- und Legitimationsproblematik moderner pluralistischer Gesellschaften. Er zeigt, wie sich Rechtfertigungsdiskurse in säkularisierten Gesellschaften von religiösen und metaphysischen Prärogativen ablösen und die Bürde der Legitimation von Normen immer weiter auf Verständigungsleistungen von Aktoren verschoben wird. Die moderne Mentalität, die Habermas als das Erbe der Französischen Revolution begreift, etabliert ein Normbewusstsein, das mit der blinden Akzeptanz überlieferter Traditionen bricht. Der demokratische Rechtsstaat verkörpert diesen postkonventionellen Modus der Normbegründung. Für Habermas stellt sich daher die Frage, wie sich Volkssouveränität gemäß dieses Modus‘ organisieren lässt. Da sich Volksouveränität nicht in der Beteiligung an Wahlen erschöpft, thematisiert Habermas den Gesetzgebungsprozess als deliberatives Zusammenspiel einer autonomen Öffentlichkeit mit den institutionalisierten Verfahren des parlamentarischen Systems. Das Zusammenspiel dieser beiden Gleise im Gesetzgebungsprozess – und darin liegt für Habermas die Pointe deliberativer Politik - bewirkt, dass die Formen und Verfahren des Verfassungsstaates mit dem demokratischen Legitimationsmodus zugleich eine neue Ebene des sozialen Zusammenhalts erzeugen. Mit der Etablierung der parlamentarischen Demokratie und dem Aufstieg des rationalistischen Gesetzesbegriffs wird nach Schmitt der genuinen Urkraft des Politischen ihre Selbständigkeit genommen. Das Gesetz wird zu einer Fessel politischen Handelns. Der Staat wird in ein System aus rechtlich geregelten Zuständigkeiten und Aufsichten gezwängt. Den Willen des Volkes, und das ist der Kern von Schmitts Konzeption der politischen Demokratie, zeichnet eine vitalistische Unmittelbarkeit aus, deren Äußerung keine rechtlichen Normierungen hemmend entgegentreten können. Schmitt stellt die gesamte Rechtsordnung unter einen existenzialistischen Vorbehalt, der im einheitsgefährdenden Ausnahmefall die dezisionistische Durchbrechung der rechtsnormativen Ordnung legitimiert, um den Bestand der politischen Einheit zu sichern. Für Schmitt ist das Volk lediglich der Referenzpunkt einer als demokratisch euphemisierten Diktatur. Die Dezisionen der politisch relevanten Gruppierungen gelten als existenzialistischer Vorbehalt, der die Quelle und Urkraft des Politischen, die existenzielle Einheit des Volkes als umfassenden Legitimationsgrund, gegen die rechtsnormative Ordnung ausspielt. Der Souverän muss sich nur mit dem Volk identitär verbinden, um seine Entscheidungen als demokratisch auszuweisen. Damit wird die politische Entscheidung absolut unabhängig von rechtlichen Domestizierungen. In der Annahme, dass der Wille des Volkes durch diktatorische und zäsaristische Methoden sicherer und effektiver zur Geltung komme als durch die künstliche Maschinerie des parlamentarischen Systems, äußert sich zudem Schmitts antiinstitutioneller Affekt. In allen populistischen Bewegungen lässt sich ein Stück von Schmitts Denkweise verorten. Alle sogenannten illiberalen Demokratien leben von dieser Logik. Das Werk von Habermas zu Rechts- und Sozialwissenschaften wird allerdings weltweit stärker rezipiert.
Abstract
(Englisch)
In this dissertation, the diametrically opposed views of Habermas and Schmitt on the constitutional state are discussed. According to Habermas, the democratic constitutional state represents the most adequate response to the integration problem of modern societies, as it manifests a mode of legitimating legal norms that is compatible with the pluralistic structure of complex societies. Habermas shows how discourses of justification in secularized societies replace religious and metaphysical prerogatives, and how the burden of the legitimation of norms is shifted further and further to discursive examination. For Habermas, the democratic constitutional state could be evolutionarily successful because the implicit assumptions of normative validity that impregnate its formal mode of legitimation correspond exactly to the collective structures of consciousness that have developed during the course of modernity. The modern mentality that Habermas sees as the legacy of the French Revolution establishes a norm-consciousness that breaks with the traditional acceptance of norms. The democratic constitutional state embodies the postconventional justification of legal norms. Because national sovereignty is not exhausted by participation in elections, Habermas describes the legislative process as a deliberative interplay of an autonomous public with the institutionalized procedures of the parliamentary system. For Habermas, the point of deliberative politics lies precisely in the fact that the forms and procedures of the constitutional state, with the democratic mode of legitimation, also create a new level of social integration. According to Schmitt, the independence of the political is removed with the emergence of parliamentary democracy and the rise of the rationalist legal concept. The law becomes a fetter of political action and the state is forced into a system of legal regulations, which intend to prevent the immediate sovereignty of a ruler. The will of the people, and this is the core of Schmitt's conception of political democracy, is characterized by a vitalist immediacy the expression of which cannot be inhibit by legal norms. For Schmitt, the people are only a reference point of a democratically euphemized dictatorship. The sovereign must only connect himself identically with the people in order to classify his decisions as democratic. The decisions of the politically relevant groupings are regarded as an existential reservation, which plays the source and fundamental power of the political, the existential unity of the people as a comprehensive legitimation ground, against the legal order. Thus, the legal order is preceded by a level of legitimacy, from which the whole legal system can be eliminated. In the assumption that the will of the people is more secure and effective through dictatorial and caesarist methods than through the "artificial machinery" of the parliamentary system, Schmitt's anti-institutional affect also manifests itself. In all the populist movements a piece of Schmitt's way of thinking the political can be found. Habermas's work on legal and social sciences is, however, more widely discussed and accepted.

Schlagwörter

Schlagwörter
(Englisch)
Habermas Schmitt deliberative democracy plebiscitary democracy social integration
Schlagwörter
(Deutsch)
Habermas Schmitt deliberative Demokratie plebiszitäre Demokratie soziale Integration
Autor*innen
Manfred Kappel
Haupttitel (Deutsch)
Der Rechtsstaat und der existenzialistische Vorbehalt
Hauptuntertitel (Deutsch)
Jürgen Habermas und Carl Schmitt
Publikationsjahr
2017
Umfangsangabe
290 Seiten
Sprache
Deutsch
Beurteiler*innen
Karl Ucakar ,
Gernot Stimmer
Klassifikationen
89 Politologie > 89.05 Politische Theorie ,
89 Politologie > 89.31 Staatslehre ,
89 Politologie > 89.35 Demokratie
AC Nummer
AC15218679
Utheses ID
44133
Studienkennzahl
UA | 092 | 300 | |
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