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Titelaufnahme

Titel
Haben Beatmungsgeräte einen Grenznutzen? : Auf dem Weg zu einer neophänomenologischen Definition existenzieller Güter
VerfasserSchulz, Manuel
Enthalten in
Zeitschrift für Praktische Philosophie, Salzburg, 2020, 7 (2020), 2, S. 253-278
Erschienen2020
SpracheDeutsch
DokumenttypAufsatz in einer Zeitschrift
Schlagwörter (DE)Neue Phänomenologie / Leiblichkeit / Bewusstseinsphilosophie / Gesundheitsökonomik / neoklassische Grenznutzentheorie
Schlagwörter (EN)New Phenomenology / bodiliness / philosophy of consciousness / health economics / neoclassic theory of marginal utility
ISSN2409-9961
URNurn:nbn:at:at-ubs:3-20426 
DOI10.22613/zfpp/7.2.11 
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Zusammenfassung

Der vorliegende Aufsatz geht von der neophänomenologisch inspirierten These aus, dass uns das Coronavirus aus einem existenzvergessenen Relativismus gerissen hat. Im Angesicht einer Bedrohung für Leib und Leben brach sich im Frühjahr 2020 schnell die kollektive Einsicht von systemrelevanten Berufsgruppen und Versorgungsinfrastrukturen Bahn. Die drohende Ansteckung mit SARS-CoV-2 ließ die allermeisten Menschen erkennen, dass es offenkundig spezifische Güter und Dienstleistungen gibt, die auf eigenartig seinsverstetigende Weise einen Wert in sich tragen. Diese plötzliche Einsicht in die existenzielle Eigenlogik gesellschaftlicher Daseinsvorsorge kollidiert jedoch grundlegend mit einem werttheoretischen Relativismus, wie er von den vorherrschenden Denkrichtungen der Wirtschaftswissenschaft vertreten wird. Ebenjene Diskrepanz nimmt der vorliegende Aufsatz in den Blick und entwickelt ein neophänomenologisches Verständnis für diese eigenartige Abteilung der Produktwelt, eine Abteilung, für welche das Beatmungsgerät gewissermaßen zum Symbol geworden ist und die ich mit dem Terminus der ‚existenziellen Güter‘ auf den Begriff bringen möchte.

Zu diesem Zweck wird gezeigt, dass die seit dem Frühjahr 2020 entstandene Situation vor dem Hintergrund eines entfremdeten menschlichen Selbstverständnisses verstanden werden kann. Letzteres besteht in einer Art existenzvergessenem Relativismus, welcher anhand der Studien von Hermann Schmitz bis in die Bewusstseinsphilosophie um 1800 zurückverfolgt werden kann. Mit Hilfe seines begrifflichen Instrumentariums der Neuen Phänomenologie diagnostiziert Schmitz in der Frühromantik des deutschen Idealismus ein entfremdetes Verständnis von Subjektivität, welches eine enorme, bis heute anhaltende Wirkmächtigkeit entfaltet hat. Diesem Gedanken folgend wird der Einfluss rekonstruiert, den dieses menschliche Selbstverständnis auf die wirtschaftswissenschaftliche Theoriebildung genommen hat. Es setzte sich, so meine Kernthese, in der Subjektkonzeption der neoklassischen Grenznutzentheorie um 1870 fort, wirkte von dort bis in die zeitgenössische Gesundheitsökonomik und widerfährt uns schließlich in Gestalt einer drohenden Versorgungskrise im Gesundheitswesen. Das durch das Coronavirus ausgelöste Krisenszenario der vergangenen Monate gleicht aus dieser Perspektive dem Erwachen aus einem relativistischen Traum abstrakter Nutzenmaximierung und Effizienzsteigerung. Das abschließend entwickelte Verständnis existenzieller Güter soll dazu beitragen, den darin manifest gewordenen Entfremdungsprozess zu überwinden.

Abstract

The present article is based on the neophenomenologically inspired thesis that the corona virus tore us out of an existentially forgotten relativism. In the face of a health threat, the collective insight of system-relevant professional groups and care infrastructures quickly broke out in the spring of 2020. The threat of infection with SARS-CoV-2 made most people realize that there are obviously specific goods and services that carry a kind of existential value in their own. However, this sudden insight into the existential logic of social services of general interest collides fundamentally with the dominant value-theoretical relativism of economics. The article takes a look at this discrepancy and develops a neo-phenomenological understanding of this peculiar division of the product world, a division for which the ventilator has become a symbol, and which I will describe with the term ‘existential goods’.

Following this, the situation that has arisen since the spring of 2020 can be understood in the light of an alienated human self-image. The latter consists in a kind of existential relativism, which can be traced back to the philosophy of consciousness around 1800, based on the studies of Hermann Schmitz. With the help of his conceptual instruments of New Phenomenology, Schmitz diagnosed an alienated understanding of subjectivity in the early Romanticism of German idealism, which has developed an enormous power of impact that continues to this day. Following this thought, the influence that this human self-understanding had on the formation of economic theory is reconstructed. As I demonstrate, it continued in the subject conception of the neoclassical theory of marginal utility around 1870 and has impacted contemporary health economics which finally befell us in the form of an impending crisis in health care provision. From this perspective, the crisis scenario of recent months triggered by the corona virus arises as an awakening from a relativistic dream of abstract utility maximization and efficiency enhancement. The finally developed understanding of existential goods aims to contribute to the overcoming of this process of alienation.

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