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Titelaufnahme

Titel
„Ökosystemintegrität“ – ein geeignetes umweltethisches Leitprinzip?
VerfasserKirchhoff, Thomas
Enthalten in
Zeitschrift für Praktische Philosophie, Salzburg, 2020, 7 (2020), 2, S. 191-220
Erschienen2020
SpracheDeutsch
DokumenttypAufsatz in einer Zeitschrift
Schlagwörter (DE)Ökosystemintegrität / Umweltethik / Naturalismus / Realismus / Konstruktivismus
Schlagwörter (EN)ecosystem integrity / environmental ethics / naturalism / realism / constructivism
ISSN2409-9961
URNurn:nbn:at:at-ubs:3-20394 
DOI10.22613/zfpp/7.2.8 
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Zusammenfassung

Spätestens mit der 1992er Rio Declaration on Environment and Development hat sich der Begriff „Ökosystemintegrität“ (ecosystem integrity) als Leitprinzip internationaler Umweltpolitik etabliert. Seinen Ursprung hat dieser Begriff in Bestrebungen in Kanada und den USA, mit Hilfe der positiven Konnotationen des aus der menschlich-sozialen Sphäre stammenden Begriffs der „Integrität“ die Wertschätzung und den Schutz von Natur zu fördern. Die Kombination mit dem Begriff „Ökosystem“ ergibt sich aus der Absicht, eine zugleich integrativ-holistische und naturwissenschaftlich-empirische Bewertungsmöglichkeit zu etablieren – anstelle einer entweder naturwissenschaftlich-reduktionistischen oder spirituell-holistischen Betrachtungsweise. In diesem Aufsatz wird zunächst der Entstehungskontext des Begriffs der Ökosystemintegrität beleuchtet, um dann vier konkurrierende Begriffsbestimmungen vorzustellen: Ökosystemintegrität als Fähigkeit eines Ökosystems, (i) seinen ursprünglichen Zustand, (ii) seine intrinsische Funktionalität bzw. innere Zweckmäßigkeit (Vollkommenheit) oder (iii) seine extrinsische Funktionalität bzw. äußere Zweckmäßigkeit (Nützlichkeit) aufrechtzuerhalten, sowie (iv), übergeordnet, ökologische Integrität als transpersonal-planetarisches Bewusstsein der Eingebundenheit des Menschen in das planetarische Ökosystem. Diese vier Konzepte werden zunächst – deskriptiv – im Hinblick auf die ihnen zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Theorien und naturtheoretischen Prämissen sowie auf ihren normativen Gehalt analysiert. Dann wird – normativ – ihre Eignung als umweltethisches Leitprinzip geprüft. Epistemologische Kriterien für die Auswahl dieser vier Begriffsbestimmungen waren: Werden Ökosysteme bzw. Ökosystemintegrität im Sinne eines ontologischen Realismus als beobachterunabhängige oder aber im Sinne eines ontologischen Konstruktivismus als beobachterabhängige Entitäten bzw. Eigenschaft begriffen? Was wird als Referenz dafür angesehen, ob etwas abträglich für Ökosystemintegrität ist? Vor allem in normativer Hinsicht ist die Frage relevant: Werden Menschen bzw. Gesellschaften als getrennt von oder als Teile von Ökosystemen bestimmt? Gewählt wurden diese Kriterien, weil sie entscheidende Prämissen der vielen verschiedenen Konzepte von Ökosystemintegrität erschließen, die in umweltethischer Hinsicht normativ wirksam werden. Die vorliegende Analyse zeigt, dass alle vier Konzepte von „Ökosystemintegrität“ mit schwerwiegenden Einwänden konfrontiert und als umweltethisches Leitprinzip problematisch sind – vor allem, weil sie auf fragwürdigen ontologischen Voraussetzungen basieren.

Abstract

Since at least the 1992 Rio Declaration on Environment and Development, the concept of “ecosystem integrity” has become established as a guiding principle of international environmental policy. The origins of this concept lie in efforts in Canada and the US to promote the appreciation and protection of nature by applying the positive connotations of the term “integrity” familiar from the human-social sphere. The combination of “integrity” with the term “ecosystem” aimed to establish a simultaneously integrative-holistic and scientific-empirical assessment – instead of an either scientific-reductionist or spiritual-holistic approach. In this essay, the origins of the concept of ecosystem integrity are explored. Four competing meanings of “ecosystem integrity” are distinguished: ecosystem integrity as the capacity of an ecosystem to maintain (i) its original state, (ii) its intrinsic functionality or internal purposiveness (perfection), or (iii) its extrinsic functionality or external outer purposiveness (usefulness), and (iv), at a higher level, “ecological integrity” means a transpersonal- planetary awareness of humans’ involvement in the planetary ecosystem. These four meanings are analyzed descriptively in terms of their underlying scientific theories and assumptions about nature as well as their normative content. They are then analyzed normatively in terms of their suitability to serve as guiding principle for environmental ethics. A set of epistemological criteria are used to assess the four meanings. Are ecosystems or ecosystem integrity considered in each case to be observer- independent (ontological realism) or observer-dependent (ontological constructivism)? What is considered in each case to be the role of detrimental effects upon ecosystem integrity? Particularly in normative terms the following criterion is also relevant: are humans or societies assumed to be separate from or part of ecosystems? These criteria reveal crucial premises of the different concepts of ecosystem integrity which then become normatively effective in terms of environmental ethics. The present analysis demonstrates that all four meanings of “ecosystem integrity” face serious objections and are problematic as guiding principles of environmental ethics – above all because each rests on questionable ontological assumptions.

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