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Titelaufnahme

Titel
Pränataldiagnostik als Instanz von struktureller Diskriminierung? : Überlegungen zur Debatte um den PraenaTest und seine Auswirkungen auf Menschen mit Behinderung
VerfasserSchidel, Regina
Enthalten in
Zeitschrift für Praktische Philosophie, Salzburg, 2020, 7 (2020), 1, S. 231-264
Erschienen2020
SpracheDeutsch
DokumenttypAufsatz in einer Zeitschrift
Schlagwörter (DE)strukturelle Diskriminierung / PraenaTest / selektiver Schwangerschaftsabbruch / medizinisches vs. soziales Modell von Behinderung / Biomacht
Schlagwörter (EN)structural discrimination / PraenaTest / selective abortion / medical vs. social model of disability / bio-power
ISSN2409-9961
URNurn:nbn:at:at-ubs:3-17957 
DOI10.22613/zfpp/7.1.8 
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Zusammenfassung

Aktuell wird in Deutschland politisch darüber verhandelt, inwiefern ein einfacher Bluttest zur Diagnose von Trisomien bei Embryonen (Praena- Test) in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden soll. Gegner befürchten, eine solche Regelung würde die Diskriminierung von Menschen mit Down-Syndrom in unserer Gesellschaft befördern. Dieser Beitrag widmet sich anhand der Diskussion des PraenaTests der Frage, was für ein Verständnis von Diskriminierung in diesem Kontext einschlägig ist, und argumentiert, dass der Begriff der strukturellen Diskriminierung die zugrunde liegende moralische Problematik am ehesten einfangen kann. Da sich mithilfe eines Schadensbegriffs moralisch ungerechtfertigter Diskriminierung (Lippert-Rasmussen) die problematischen Aspekte der selektiven Abtreibungspraxis gegenüber Embryonen mit Down-Syndrom nur teilweise erfassen lassen, muss eine angemessene Beschreibung durch einen Missachtungs- und Demütigungsbegriff der Diskriminierung (Hellman) erweitert werden. Allerdings hebt dieser zu stark auf einzelne Akte der Diskriminierung ab und nimmt die strukturelle Dimension von Diskriminierung und ihre diskursprägende Kraft nicht hinreichend in den Blick; er ist deshalb in dieser Hinsicht zu modifizieren. Der Beitrag diskutiert in Hinblick auf Menschen mit Down-Syndrom mögliche diskriminierende Implikationen von pränataler Testung und damit assoziierten Schwangerschaftsabbrüchen. Die Argumentation zeigt auf, dass zwar bezüglich der selektiven Abtreibungspraxis von Embryonen mit Trisomie 21 und ihrer medizinischen Rahmung von einer strukturellen Diskriminierung gegenüber Menschen mit Down-Syndrom gesprochen werden kann; diese Form der Schlechterstellung ist aber nicht durch eine konkrete Ungleichbehandlung dieser Menschen geprägt, sondern bezeichnet die Etablierung und Perpetuierung von sozial wirkmächtigen Stereotypisierungen und Werthaltungen, die ein rein defizitorientiertes Verständnis von Behinderung konsolidieren. Die spezifische Dimension struktureller Diskriminierung im Kontext pränataler Diagnostik soll mit Foucaults Konzept der Biomacht eingefangen werden. Der Beitrag kommt zu dem Ergebnis, dass aus Gründen der Konsistenz der PraenaTest für Risikoschwangerschaften eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen werden sollte (da die riskantere Fruchtwasseruntersuchung bereits eine solche ist), eine flächendeckende Einführung als Reihenuntersuchung jedoch abzulehnen ist. In gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht bleibt das Desiderat bestehen, normierende und stereotypisierende Vorstellungen von Behinderung kritisch zu hinterfragen und aufzubrechen.

Abstract

Political negotiations are currently underway in Germany to determine to what extent a simple blood test for the diagnosis of trisomies in embryos (PraenaTest) should be included in the catalog of benefits of statutory health insurance. Opponents fear that such a regulation would increase the discrimination against people with Down syndrome in our society. This paper addresses the underlying notion of discrimination and argues that the concept of structural discrimination can best capture the moral problem associated with prenatal testing. Since an understanding of discrimination as harming (Lippert-Rasmussen) fails to fully grasp the social impact of selective abortion practice against embryos with Down syndrome, it has to be complemented by a notion of discrimination stressing its disrespectful and humiliating dimension (Hellman). However, it puts too much emphasis on individual acts of discrimination and does not adequately take into account the structural dimension of discrimination and its discursive power. I therefore propose a structural extension of Hellman’s concept. The article discusses possible discriminatory implications of prenatal testing and associated abortions with regards to persons with Down syndrome. The argumentation shows that the selective abortion practice of embryos with trisomy 21 and its medical framing may be considered as structural discrimination. However, this form of discrimination is not characterized by a concrete inequality of treating but denotes the establishment and perpetuation of socially powerful stereotypes and values that consolidate a purely deficit-oriented understanding of disability. The specific dimension of structural discrimination in the context of prenatal diagnosis will be captured by Foucault’s concept of bio-power. The article concludes that, for reasons of consistency, the PraenaTest should become a mandatory health insurance scheme for high-risk pregnancies (as the riskier amniocentesis is already one of these), but it should by no means be expanded on a comprehensive scale. From a social and cultural point of view, the desideratum remains to critically question and break down normative and stereotyping ideas of disability.

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