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Titelaufnahme

Titel
Das demokratische Paradox des Flüchtlingsschutzes : Eine pragmatistische Untersuchung demokratischer Erfahrungs- und Lernprozesse
VerfasserKersting, Daniel
Enthalten in
Zeitschrift für Praktische Philosophie, Salzburg, 2019, 6 (2019), 2, S. 71-106
Erschienen2019
MaterialOnline-Ressource
SpracheDeutsch
DokumenttypAufsatz in einer Zeitschrift
Schlagwörter (DE)Demokratie / Flüchtlingsschutz / Pragmatismus / John Dewey / Proteste
Schlagwörter (EN)Democracy / Refugee Protection / Pragmatism / John Dewey / Refugee Struggle / Protests
ISSN2409-9961
URNurn:nbn:at:at-ubs:3-15733 
DOI10.22613/zfpp/6.2.3 
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Zusammenfassung

Moderne Demokratien formulieren den Selbstanspruch, dass sich alle, die von einem Gesetz betroffen sind, als dessen Urheber*innen verstehen können müssen. Doch im Zusammenhang von Flucht und Migration stößt die Realisierung dieses Anspruchs prinzipiell an Grenzen: Geflüchtete haben, obwohl sie existenziell betroffen sind, keine Möglichkeit, über die Gesetze ihres Ein- und Ausschlusses demokratisch mitzuentscheiden, denn sie gehören nicht zum demos. In der politischen Philosophie der Gegenwart wird diese Situation als demokratisches Paradox bezeichnet und es werden verschiedene Ansätze diskutiert, wie sich mit diesem Paradox in einer emanzipatorischen Weise umgehen ließe. Der vorliegende Beitrag nimmt diese Diskussion auf und erweitert sie um eine pragmatistische Perspektive auf Demokratie. Unter dieser Perspektive genügt es nicht, Demokratie bloß als eine Form legitimer Herrschaft im Sinne der ‚Volkssouveränität‘ zu verstehen. Vielmehr muss der Demokratiebegriff auch jene experimentellen Erfahrungs- und Lernprozesse einschließen, die politische Akteur*innen in ihrem Handeln durchlaufen und durch die sie die paradoxen Effekte der Demokratie auf unterschiedliche Weise zu bearbeiten lernen. Unter Rückgriff auf die pragmatistische Handlungs- und Wissenschaftstheorie von John Dewey und Charles S. Peirce wird gezeigt, dass der demokratische Prozess ein dialektischer Prozess ist, der sich über den ‚Umweg‘ des Dissenses und des Experiments einem Ideal der Inklusion schrittweise annähern kann.

Um den pragmatistischen Ansatz zu entfalten und sein exploratives und kritisches Potenzial zu erproben, wird im Beitrag immer wieder auf konkrete politische Ereignisse Bezug genommen, allen voran auf die politischen Kämpfe der Geflüchteten selbst. Diese Kämpfe sind auch philosophisch aufschlussreich, weil sie an den paradoxen Effekten moderner Demokratien ansetzen und Praktiken ihrer möglichen Bearbeitung aufzeigen, an die die theoretische Reflexion anschließen kann. Zwar sind – so lautet das Ergebnis der Untersuchung – Grenzziehungen und Ausschlüsse im Politischen unvermeidbar. Doch kann ihre konkrete Erfahrung zum ‚Motor‘ demokratischer Lernprozesse werden, die ihrerseits die Perspektive auf eine Transformation der gegenwärtigen Gesellschaft und ihrer Institutionen eröffnen.

Abstract

Modern democracies raise the claim that all persons who are affected by a law should be able to perceive themselves as its authors. But in relation to flight and migration, the realization of such a claim is limited as a matter of principle: Despite being existentially affected, refugees have no opportunity to get involved in the democratic legislative procedure that decides about their in- and exclusion, since they do not belong to the demos. Within recent political philosophy this situation is often described as a democratic paradox and it is widely discussed whether and how it is possible to deal with this paradox in an emancipatory manner. The following article takes up this debate and expands it by a pragmatist perspective on democracy. From this perspective, democracy cannot only be understood as a form of legitimate governance in terms of ‘sovereignty of the people’. Moreover, the concept of democracy must include the experimental processes of learning and experiencing involved in the actions of political agents through which they learn different ways of handling the paradoxical effects of democracy. With reference to John Dewey’s and Charles S. Peirce’s pragmatist theories of action and science, it is shown that the democratic process is a dialectical process which can successively approach an ideal of inclusion by means of dissent and experiment. In order to develop the pragmatist approach and to test its explorative and critical potential, the article makes continual reference to current political events, particularly to the political struggle of refugees themselves. These struggles are philosophically revealing because they probe at the very root of the paradox of modern democracy and offer possible solutions in their practices, on which theoretical reflection can then build. Although boundaries and exclusions are – as the results of this investigation suggest – politically unavoidable, their experience can become an incentive for democratic processes that, in turn, offer the prospect of a transformation of our present society and its institutions.

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