µ- Opioidrezeptor Agonisten repräsentieren den Goldstandard zur Behandlung moderater bis starker Schmerzen auf Grund ihrer stark analgetischen Potenz. Paradoxerweise können Opioide auch zu einem gesteigerten Schmerzempfinden führen, der Opioid-induzierten Hyperalgesie (OIH). Die Ursachen, die eine OIH auslösen, sind nur teilweise entschlüsselt. Die synaptische Langzeitpotenzierung (LTP) zwischen primären Afferenzen und Neuronen zweiter Ordnung im oberflächlichen Hinterhorn des Rückenmarks stellt ein Modell für manche Formen der Hyperalgesie dar. Opioide verringern nicht nur die nozizeptive Transmission im Rückenmark, möglicherweise induzieren sie auch synaptische Plastizität und modulieren so die Übertragungsstärke der nozizeptiven Information. Wir vermuten, dass das Absetzen eines Opioids eine LTP auf Rückenmarksebene auslöst und so einen möglichen Mechanismus der Opioid- induzierten Hyperalgesie darstellt. Um diese Hypothese zu prüfen, wurden im Schnittpräparat des Rückenmarks der Ratte oberflächliche Neurone im Hinterhorn mittels elektrophysiologischer Methoden und Ca2+-Gradientenmessungen untersucht.
Nach dem Auswaschen des µ- Opioidrezeptor Agonisten DAMGO (0.5 µM) kam es zu einer Potenzierung der monosynaptisch evozierten C-Faser Antworten auf 165 ± 17 %. Die Applikation des intrazellulären G-Protein Blockers GDPbetas verhinderte die Entstehung einer Potenzierung. Blockade des Ca2+-Anstiegs im postsynaptischen Neuron durch den Ca2+-Blocker BAPTA, sowie selektive Hemmung der postsynaptischen NMDA Rezeptoren verhinderte ebenfalls eine Opioid-induzierte LTP. Ein Kalziumeinstrom in die Zelle nach Auswaschen des Opioids ist notwendig für die Induktion einer LTP, da eine Hemmung des Ca2+-Anstiegs zum Zeitpunkt des Auswaschens diese verhinderte.
In vivo Ca2+-Gradientenmessungen war bisher nur im Cortex des Gehirns möglich. Auf Grund der starken Bewegungsartefakte, verursacht durch Atmung und Herzschlag, sowie der starken Myelinisierung, waren Messungen von Ca2+-Gradienten oberflächlicher Hinterhornneurone im Rückenmark nicht möglich. Um die nötige mechanische Stabilität zu gewährleisten, wurde eine Herz-Lungenmaschine für Ratten entwickelt, welche die störenden Artefakte ausschließt. Die Kombination der 2-Photonen-Laserscanning-Mikroskopie mit einer Herz-Lungenmaschine ermöglicht das Messen von intrazellulären Kalziumsignalen in oberflächlichen Hinterhornneuronen des Rückenmarks. 31 Neurone wurden untersucht, wobei 15 der Neurone mit einem Anstieg der intrazellulären Konzentration freier Kalziumionen nach Gabe des Opioids reagierten (6 während der Gabe, 9 nach Absetzen des Opioids) Wir konnten erstmalig zeigen, dass Opioide nozizeptive Signale an der ersten Umschaltstelle in der Schmerzbahn, dem Hinterhorn des Rückenmarks, nicht nur akut hemmen, sondern auch anhaltend verstärken können. Während die analgetische Wirkung von Opioiden vorwiegend präsynaptisch mediiert wird, ist der schmerzverstärkende Mechanismus postsynaptisch lokalisiert. Wir konnten daher den unerwünschten Effekt selektiv blockieren, ohne die analgetische Potenz der Opioide zu beeinträchtigen.