Hintergrund: Traumartige Zustände sind ein Teil menschlicher Erfahrung. Für die träumende Person zeigt das Traumgeschehen die geschlossene Wirklichkeit einer eigenständigen Welt. Die grundlegenden (ontologischen) Wirklichkeitsstrukturen dieser „Traumwelten“ wurden bislang nur in Hinblick auf Abweichungen zum modernen Alltagserleben beforscht. Die Frage nach ihrer Nähe zur vormodernen (mythischen) Weltauffassung ist angesichts der lückenhaften Datenlage von hoher wissenschaftlicher und psychotherapeuticher Relevanz.
Ziel: Ziel des vorliegenden Beitrages war es, die ontologischen Ähnlichkeiten zwischen autonom-imaginativen (traumartigen) und mythischen Welterleben qualitativ zu untersuchen. Zudem sollten die gefundenen Ähnlichkeiten durch eine empirische Untersuchung geprüft und auf diese Weise die quantitative Datenlage in diese Bereich erweitert werden.
Methoden: Im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse wurden die Erlebnisformen in der Hypnagogie, dem Traum und dem oneiroiden Syndrom mit dem mythischen Welterleben verglichen. Die untersuchten ontologischen Bereiche waren Substanz, Zeit und Raum, wobei diese im Mythos in einen profanen und einen heiligen Teil aufgetrennt sind. Die Ergebnisse dieser Analyse dienten als Hypothesen in einer empirischen Untersuchung mit einem Within-Subject-Design geprüft. Hierfür wurden gesunde Personen mittels Flotation- REST (sensorischer Isolation) in einen halbschlafartigen Zustand versetzt. Es wurden die Bewusstseinsveränderungen, die imaginative Autonomie und der Grad an mythischer Ontologie mittels Fragebögen gemessen und mit dem normalen Wachzustand verglichen.
Ergebnisse: Die qualitative Inhaltsanalyse ergab Parallelen zwischen dem autonom-imaginativen und dem mythischen Erleben. Die Ähnlichkeiten betrafen den heiligen (und nicht den profanen) Teil der mythischen Ontologie in allen Bereichen. Die empirische Untersuchung mit einer Stichprobe von 31 freiwilligen TeilnehmerInnen (m/w) bestätigte diese Ergebnisse. Zudem zeigten sich mythische Spuren im normalen Wachzustand.
Schlussfolgerung: Die Ergebnisse erhärten die Annahme einer Ontologie der autonomen Imagination, die eine signifikante Nähe zum heiligen Teil des Mythos aufweist. Da die Interpretation der Ergebnisse zudem von der eingenommenen ontologischen Position abhängt, wurde eine naturwissenschaftliche, eine mythische sowie eine ontologisch-pluralistische Perspektive elaboriert.