Hintergrund
Zum aktuellen Entwicklungsstand medizinisch-forschungsethischer Theoriebildung fällt neben bemerkenswerten Vorstößen und der einhergehenden Erstarkung als eigenständige Ethikteildisziplin insbesondere der ausbleibende Rückbezug auf die klassischen Moralphilosophien auf. Während zahlreiche Bereichsethiken diesen explizit suchen, versucht die medizinische Forschungsethik nicht, aus der Auseinandersetzung mit den klassischen Moralphilosophien an Gehalt und diskursivem Gültigkeitsanspruch zu gewinnen. In Anbetracht zunehmender Bezweiflung der Relevanz allgemeiner Theorien für die medizinische Ethik und einer beobachtbaren Hinwendung zu kasuistischen Ansätzen in kontemporären medizinethischen Positionen, versucht die vorliegende Arbeit, das analytische und argumentative Potential der klassischen Moralphilosophien für die Medizinethik zu explorieren.
Ziel
Auslotung des Potentials des kategorischen Imperativs nach Immanuel Kant sowie der Nikomachischen Ethik – als exemplarisch für die klassischen Moralphilosophien stehende Ethiken – für die moderne medizinische Forschungsethik sowie Exploration der Relevanz der Teilhabe der Philosophie als Herkunftsdisziplin der Ethik am medizinisch-forschungsethischen Diskurs.
Methode
Analyse des Nürnberger Kodex (NK) und der Deklaration von Helsinki (DH) anhand des kategorischen Imperativs und der Nikomachischen Ethik.
Ergebnisse
Die analytische Potenz des kategorischen Imperativs, die von der Logik einer Wissenschaftsdisziplin gleichermaßen unabhängig bleibt wie von der Moral einer Gesellschaft, zeigte kontraintuitive Grauzonen in NK und DH auf. Für die Nikomachische Ethik wurde festgestellt, dass sowohl der NK, als auch die DH vermehrt Kongruenzen zu ebendieser aufweisen.
Diskussion
Die vorliegende Arbeit zeigt die Relevanz der Teilhabe der Philosophie am medizinisch- forschungsethischen Diskurs. Diese konnte eingangs anhand eines Beispieldiskurses demonstriert und im Zuge der Analyse des NK und der DH im Detail exploriert werden. Eine konsequente Auseinandersetzung mit den hier gewählten sowie mit weiteren klassischen Moralphilosophien sollte zur Nutzung deren Potential für die medizinische Forschungsethik vorangetrieben werden. Besonderes Augenmerk sollte auf einer Fruchtbarmachung der genannten für konkrete Fallbesprechungen liegen.