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Titelaufnahme

Titel
Psychische Krankheit, Delinquenz und Biographie : Der biographische Lebensverlauf von psychisch kranken sowie delinquenten Frauen im forensischen Maßnahmenvollzug / eingereicht von Kathrin Ruhmer
AutorInnenRuhmer, Kathrin
Begutachter / BegutachterinBacher, Johann
ErschienenLinz, 2020
UmfangX, 124 Seiten : Illustrationen
SpracheDeutsch
DokumenttypMasterarbeit
SchlagwörterSoziologie / Psychische Störung / Maßregelvollzug
Schlagwörter (DE)Biographie / Biographieforschung / Delinquenz / psychische Krankheit / Risikofaktoren / Desistance
Schlagwörter (GND)Linz
URNurn:nbn:at:at-ubl:1-34111 
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Zusammenfassung

Die vorliegende Masterarbeit befasst sich mit dem biographischen Lebensverlauf von psychisch kranken und straffällig gewordenen Frauen, welche sich ursprünglich im Maßnahmenvollzug in einer forensisch-psychiatrischen Krankenhaus-Abteilung oder der Justizanstalt befanden und in eine vereinsorganisierte Wohngemeinschaft zur Nachsorge vermittelt wurden. Neben dem generellen biographischen Verlauf liegt das Forschungsinteresse insbesondere auf folgenden drei Bereichen: 1) die Identifizierung möglicher sozialer und psychologischer Risikofaktoren (in Anlehnung an Stemmler et al. 2018) sowie personale und soziale Entwicklungen, welche delinquentes Verhalten in weiterer Folge begünstigen können, 2) Labeling- und Stigmatisierungserlebnisse als möglicher Aspekt sozialer Risikofaktoren und letztlich 3) die individuellen Wege zurück in ein (straf-)freies und selbstbestimmtes Leben sowie die dafür notwendigen individuellen Ressourcen, inneren Prozesse und äußeren Einwirkungen.

Realisiert wurde dieses Vorhaben mittels Methoden der qualitativen Sozialforschung. So erfolgte die Datenerhebung durch narrativ-biographische Interviews, welche die Generierung freier autobiographischer Erzählungen der Betroffenen als Ziel haben. Als Auswertungsstrategie wurde die Grounded Theory (genauer: Theoretisches Kodieren) gewählt, wodurch das Aufbrechen, neu Zusammensetzen und Strukturieren des Interviewmaterials ermöglicht wird.

Die Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich Punkt 1) macht deutlich, dass sich eine Vielzahl an sozialen und psychologischen Risikofaktoren in den Biographien der Befragten findet. Die wohl bedeutendsten sozialen Risikofaktoren gehören der innerfamiliären Sphäre (u. a. Ein-Eltern-Haushalt, ungünstige Erziehungsmethoden, schwache Eltern-Kind-Bindung) und jener der Peer-Group (u. a. Zurückweisung durch Peers, Peer-Delinquenz) an. Bezüglich psychologischer Risikofaktoren zeigten sich neben der psychischen Erkrankung vor allem jene: Geringer Selbstwert, Substanzenkonsum, geringe Coping-Fähigkeit, geringe Selbstkontrolle und Defizite in sozialen Informationsverarbeitungsprozessen. Zusammengefasst kann davon ausgegangen werden, dass Risikofaktoren nicht gesondert voneinander, sondern stets kumulativ wirken, d. h., dass dissoziales Verhalten erst durch das gemeinsame Auftreten mehrerer negativer Faktoren begünstigt wird.

Zu Punkt 2) wurden nur wenige Aussagen von Seiten der Betroffenen getätigt Erlebnisse betreffend Labeling oder Stigmatisierung vor Begehen des Strafdeliktes wurden kaum geschildert und gingen ausschließlich von Familienmitgliedern aus. Wesentlich aufschlussreicher waren die Erkenntnisse zu der Abwendung von kriminellem Verhalten („Desistance“) und den diesbezüglich förderlichen Kriterien und Faktoren (Punkt 3). Ergebnisse aus bisher durchgeführten Desistance- Forschungen (u. a. Sampson und Laub 1993, Maruna 2001, Giordano et al. 2002) finden größtenteils auch in dieser Untersuchung Bestätigung. So lassen die erfassten Daten auf eine enorme Wichtigkeit von bereits vorangegangenen sowie teilweise noch stattfindenden kognitiven Transformationsprozessen („cognitve shifts“) schließen, welche unter anderem folgende Aspekte umfassen: Offenheit für Veränderung, veränderte Einstellung gegenüber dem früheren devianten Verhalten und das Erkennen von Anker- und Wendepunkten („turning points“). Als ebenso Desistance-fördernd stellten sich diverse externe Einwirkungen formeller sozialer Kontrolle (z. B. durch Justiz oder den forensischen Maßnahmenvollzug und dessen strukturellen Gegebenheiten) einerseits und informeller sozialer Kontrolle (z. B. durch enge Bezugspersonen, wiederhergestellten Kontakt zur Familie oder Erwerbsarbeit) andererseits heraus. Zusätzliche individuelle Ressourcen, welche in dieser Hinsicht eine unterstützende Wirkung haben, sind körperliche oder künstlerische Betätigung, Glaube/Spiritualität, selbstständige Weiterbildung (z. B. Sprachkurs), das Schreiben von Texten sowie Erwerbsarbeit außerhalb des psychosozialen Vereins.

Letztlich zeigen die Studienergebnisse ein weiteres Mal die enorme Bedeutung von innerfamiliären Strukturen und weiteren sozialen sowie psychologischen Risikofaktoren für dissoziales Verhalten auf. Außerdem ermöglichen sie detaillierte Einblicke in den biographischen Verlauf von „geistig abnormen Rechtsbrecherinnen“ und geben Aufschluss über unterstützende intrinsische und extern wirkende Faktoren auf dem Weg zurück in ein Leben in Freiheit und mit mehr Selbstbestimmung.

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