Die Europäische Union ist derzeit mit einer der schwierigsten ökonomischen Krisen ihrer Geschichte konfrontiert: Arbeitslosenraten und Armutszahlen nehmen zu, während Sozialsysteme und arbeitsrechtliche Regulierungsinstanzen (insbesondere in den sogenannten "Krisenländern") abgebaut werden. Die Durchsetzung eines "sozialen Europas" scheint damit in weiter Ferne zu liegen. Aus diesem Grund beschäftigt sich die Dissertation mit der Frage, ob und inwiefern Gewerkschaften dazu beitragen können, den Aufbau eines sozialen Europas in Gang zu setzen. In ihrer theoretischen Analyse bezieht sie sich auf die Arbeiten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu und zwar einerseits auf seine politischen Schriften. In diesen argumentiert Bourdieu, dass die Gewerkschaften Europas offensivere Strategien unter Einbeziehung ihrer Mitglieder anwenden müssen, um transnationale Gegenmacht aufzubauen und damit die Durchsetzung eines sozialen Europas zu forcieren. Andererseits bezieht sich die Dissertation auf Bourdieus feldtheoretischen Überlegungen. Diese lenken den Blick auf die sozialen Kämpfe, Machthierarchien und dominanten Weltsichten, mit denen die Gewerkschaften in ihren Bemühungen sich transnational zu organisieren konfrontiert sind. Darüber hinaus werden auch die Prozesse zwischen Gewerkschaften in den Blick genommen, die ebenfalls von Machthierarchien und materiellen wie symbolischen Kämpfen durchzogen sind.
Empirisch ist die Dissertation als eine Fallstudie über die Geschichte der European Action Days konzipiert. Diese Action Days sind vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) koordinierte, grenzüberschreitende gewerkschaftliche Formen der Mobilisierung, mit denen die Gewerkschaften versuchen ihre Anliegen vor allem auf der politischen (weniger auf der betrieblichen oder der sektoralen) Ebene einzubringen. Die Action Days werden sowohl aus einer transnationalen wie aus einer ländervergleichenden Perspektive analysiert. Vier Länderberichte (basierend auf qualitativen Interviews sowie Sekundäranalysen bestehender Forschungen) werfen ein Licht auf die Einschätzungen von GewerkschafterInnen verschiedener EU-Mitgliedstaaten (Bulgarien, Finnland, Österreich, Spanien) zu den Action Days. Eine quantitative Onlinebefragung aller EGB-Mitgliedsorganisationen sowie die Analyse von Pressemitteilungen und Mobilisierungsplakaten helfen dabei, die Partizipationsraten und TeilnehmerInnenzahlen der Action Days in Erfahrung zu bringen. Die Dissertation kommt zu dem Schluss, dass die Teilnahme an den European Action Days von mehreren ökonomischen, sozialen und politischen Faktoren abhängt. Eine wichtige Rolle spielen u.a. die gewerkschaftliche Position in den politischen Feldern sowie die Bereitschaft von PolitikerInnen gewerkschaftliche Anliegen in Entscheidungsfindungsprozessen zu berücksichtigen. Des Weiteren ist auch die Etablierung eines grenzüberschreitend geteilten Framings hinsichtlich der Ziele der grenzüberschreitenden Mobilisierungen durch die Gewerkschaften zentral. Darüber hinaus sind Protest- und Mobilisierungserfahrungen und nationalstaatlich geprägte gewerkschaftliche Traditionen und Machtressourcen zentrale Einflussfaktoren für die gewerkschaftliche Teilnahme an den Action Days.