Die Forderung vieler Bildungsvertreter nach Vergleichbarkeit schulischer Leistungen, Transparenz und Objektivität hat im deutschen und österreichischen Schulsystem zu zahlreichen Veränderungen geführt:
Die Einführung von Bildungsstandards und standardisierten Abschlussprüfungen setzt neue MaÃstäbe und hat zur Folge, dass kommunikative Kompetenz zum obersten Lernziel des Fremdsprachenunterrichts wird. Diese Neuerungen werden vor allem seitens der Fremdsprachendidaktik kritisiert. Die Rede ist von einer Verarmung des Unterrichts sowie einem Verlust an Bildungsinhalten. Insbesondere der Bereich Literatur ist von dieser Entwicklung betroffen:
Wie die Analyse deutscher und österreichischer Lehrpläne für den Italienischunterricht zeigt, spielen literarische Texte nur mehr auf bestimmten Niveaustufen eine Rolle. Bis zur Erreichung des Niveaus B1 besteht das Ziel literarischer Textarbeit beispielsweise lediglich darin, zur Ausbildung des Kompetenzbereichs Lesen beizutragen. Ab der Niveaustufe B2 hingegen wird Literatur in den Dienst der Persönlichkeitsbildung und des Erwerbs spezifisch literarischer Kompetenzen gestellt. Diese in Lehrplänen formulierten, teilweise stark divergierenden Anforderungen an Literaturarbeit im Italienischunterricht bilden den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Ihr Ziel ist es aufzuzeigen, mit Hilfe welcher literaturdidaktischer Ansätze Literatur im kompetenzorientierten Italienischunterricht bis B1 neu verortet werden kann und welche methodischen Verfahren die Möglichkeit bieten, Persönlichkeitsbildung und den Erwerb fremdsprachlicher Kompetenzen bereits auf diesen Niveaustufen zu verknüpfen. Auf Grundlage einer rezeptionsästhetisch ausgerichteten Literaturdidaktik wird ein Phasenmodell literarischer Textarbeit entwickelt, das auf den Besonderheiten des fremdsprachlichen Lektüreprozesses beruht und die Eigenschaften literarischen Lesens berücksichtigt. Die im Anschluss da stattfindende empirische Untersuchung hat die Aufgabe, das theoretische Phasenmodell in der Unterrichtspraxis zu erproben und zu evaluieren. Das zugrundeliegende Forschungsdesign ist qualitativ ausgerichtet und weist Züge einer formativen Evaluation auf, die den "Prozess der Durchführung der Intervention beleuchtet" und zur "Modifikation oder Verbesserung der laufenden Intervention" (Flick 2006, S. 14) beitragen will. Die vor der Erprobung mit den Untersuchungsteilnehmern geführten Leitfadeninterviews liefern Daten, die Schlüsse darüber zulassen, wie Literaturarbeit aktuell im Italienischunterricht organisiert ist. Während Planung und Durchführung der Unterrichtseinheit verfassen die Untersuchungsteilnehmer Forschungstagebücher, die Auskunft über die Einsetzbarkeit des Phasenmodells im realen Italienischunterricht geben und zeigen, in welchen Bereichen Modifikationen notwendig sind. Die erhobenen Daten werden mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Ergebnisse bestätigen die Sinnfälligkeit und grundsätzliche Praktikabilität des entwickelten Phasenmodells.