Kalke ‘ambientaler’ Quellen (=Temperatur in etwa der Mittleren Jahrestemperatur MJT entsprechend) werden meist a priori als typisch für eine relativ hohe MJT bzw. ‘warmes’ Klima angesehen. In den Ostalpen führte über die letzten 15 Jahre die stichprobenartige Untersuchung von Quellkalken über 1500 m ü.d.M. jedoch zu Zweifeln an der ‚Klima-Hypothese’ und veranlasste, diese eingehender zu prüfen. Die Alpen sind dafür ideal, da sie (a) durch Straßen und Wege gut erschlossen sind, sodass Quellkalk-Vorkommen leicht erreicht werden können; (b) durch geologische Karten 1:50000 bis 1:25000 größtenteils abgedeckt sind, was Informationen zu Gesteinsuntergrund und quartären Deckschichten ermöglicht; (c) Bereiche zwischen ca. 200 m bis >3500 m ü.d.M. mit einer breiten Spanne von MJT umfassen, und (d) aus tektonischen Einheiten mit verschiedenen Gesteins-Gemeinschaften bestehen, die sich in Quellwässern unterschiedlicher Zusammensetzung widerspiegeln.
Der erste Teil der Dissertation untersucht die Beziehungen zwischen Quellkalken und der topographischer Höhe, der MJT, des Gesteinsuntergrunds, quartären Deckschichten und Hang-Exposition. Dazu wurden 249 publizierte Karten (Maßstab 1:25000 bis 1:200000) der geologischen Dienste von Österreich, Bayern, Italien und der Schweiz in einer Excel-Datenbasis mit 23 Hauptparametern erfasst. Die westliche Grenze der Kompilation folgte in etwa der heutigen Westgrenze des Ostalpins als bezeichnende tektonische Einheit der Ostalpen. Klimatologische Daten wurden von den frei zugänglichen Datenbasen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien entnommen. Die gewonnenen Parameter wurden mit bivariater Korrelation sowie mit multivariater Statistik und Hauptkomponenten-Analyse untersucht. Die Parameter-Entnahme aus Karten wurde durch Untersuchung ausgewählter mineralfällender Quellen auf Chemie und Lebewelt begleitet.
Die Auswertung der Datenbasis zeigt, dass die Verteilung von Quellkalken i. W. Gesteins-Gemeinschaften folgt, die die Bildung kalkfällender Quellen fördern. Die MJT dagegen scheint die Quellkalk-Bildung nur unwesentlich zu beeinflussen. Die Untergrenze des Permafrosts, die in den Ostalpen derzeit bei ca. 2400–3000 m ü.d.M. liegt, ist dagegen eine klimatische Höhengrenze der Quellkalk-Bildung. Für Bereiche unterhalb der Permafrost-Grenze konnte keine Korrelation zwischen Hang-Exposition und Größe sowie Häufigkeit von Quellkalken festgestellt werden. Quellkalke sind am häufigsten im (a) Rhenodanubischen Flysch (Penninikum pro parte), (b) auf den Bündnerschiefern und Meta-Flyschen des Penninikums, und (c) in Bereichen stark teleskopierter Einheiten zwischen Penninikum und Ober-Ostalpin. Die stärkste Korrelation wurde jedoch zwischen Quellkalken und dickeren Deckschichten aus Till/umgelagertem Till festgestellt. Die dicken triadischen Karbonat-Abfolgen der Nördlichen Kalkalpen (Ober-Ostalpin pro parte), die häufig ad hoc als bevorzugter Ort der Quellkalk-Bildung angesehen werden, sind dagegen arm an Quellkalken. Die Bildung kalkfällender Quellen wird gefördert durch (a) Lösung feinkörniger Karbonat-Partikel (z.B. in Mergeln oder Till), (b) Lösung von Sulfat-Evaporiten und/oder Pyrit-Oxidation, welche Grundwässer mit hoher Ca2+ Konzentration und hoher Alkalinität ergeben (letzteres wahrscheinlich durch Sulfat-Reduktion), und (c) die Verformung von Berghängen durch Langsame Massenbewegungen. Quellen von seltenerem Chemismus (z.B. dys- bis anoxische Quellen mit reichlich gelöstem Fe2+ oder Quellen mit einem Mg/Ca-Molverhältnis bis >5) stammen wahrscheinlich aus der Oxidation sulfidischer Erze und/oder der Lösung von Gangart (z.B. Magnesit, Ankerit, Siderit, Dolomit).
Solange die MJT – als Näherung für das Klima eines betrachteten Bereichs – über dem Limit für Permafrost liegt, übt diese einen geringen Einfluss auf die Bildung zumindest intramontaner Quellkalke aus. Die Quellkalke der Ostalpen sind im Wesentlichen gesteuert durch den Quell-Chemismus als Folge des Gesteins-Untergrunds und dessen ‚Aufbereitung’ (z.B. Kataklase in Langsamen Massenbewegungen).
Der zweite Teil der Dissertation behandelt die Kalzifikation der noch wenig bekannten Mikro-Alge Oocardium stratum (Desmidiaceae, Zygnematophyceae). Diese eukaryote Alge, früher für selten gehalten, wird seit etwa zehn Jahren in einer steigenden Zahl kalkfällender Quellen erkannt. Besonders der Ablauf und die Jahreszeit der Kolonisation, aber auch Einzelheiten der Kalkbildung durch diese Alge benötigen noch eingehender Klärung. Zur vorliegenden Arbeit wurde eine ‚ambientale’ Quelle nahe Kufstein (Österreich) ausgewählt, da diese (a) praktisch gänzlich durch O. stratum kolonisiert ist, (b) einen einfachen Ca2+-HCO3- Chemismus bei mässiger Gesamtmineralisation, und (c) nur geringe jährliche Temperatur-Schwankung (7.9–10.8°C) aufweist. Die Quelle wurde in dreiwöchigen Abständen über mehr als ein Jahr besucht und beprobt (Feb 2015 – Mär 2016).
Ausser O. stratum ist die Lebewelt des Quellbachs reich an Diatomeen; Zyanobakterien und fädige Zygnematophyceen sind nur lokal bzw. saisonal vorhanden. Moose sind seitlich entlang sowie im unteren Abschnitt des Quellbachs häufig (dort von O. stratum überwachsen). O. stratum ist das ganze Jahr lebensfähig und kolonisiert ganzjährig neue Substrate. Im Kleinbereich von wenigen Dezimetern zeigt O. stratum jedoch eine fleckenhafte Dynamik (patch dynamics), die noch kaum verstanden ist. Bei der Substrat-Besiedlung heften sich einzelne O. stratum-Zellen mit ihrer schmalen Flanke wahrscheinlich mit Hilfe abgeschiedener Gallerte an die Unterlage; dann wird um die festgeheftete Flanke der Zelle ein Ring aus Kalzitspat-Kristallen abgeschieden; im Anschluss daran bildet sich eine kurze Röhre aus Kalzit, in der die Zelle auf ihrem Gallertstiel emporwächst; dann erfolgt die erste Teilung in zwei Tochterzellen, die schliesslich an getrennten Gallertstielen bzw. getrennten Kalzit-Röhren emporwachsen. Stetige Zellteilungen im weiteren Verlauf des Emporwachsens ergeben schliesslich eine ‘kohlkopf-artige’ Halbkugel aus Oocardium-Kalzit, die von zahlreichen Individuen besiedelt ist.
Der Habitus der initialen Kalzit-Fällung an der emporwachsenden Front der Kalzit-Röhre ist ähnlich dem des abiotisch ausgefällten Kalzits an einer beliebigen Stelle entlang des Baches. Im untersuchten Quellbach korrelieren hochporöse Kristallskelette mit geringer Kalzit-Übersättigung und relativ hoher CO2-Konzentration im oberen Abschnitt des Baches; die geringe Kalzit-Übersättigung wird begleitet von (a) verzögerter Besiedlung neuen Substrates durch O. stratum, und (b) fast keine progressive Kalzifikation natürlich bestehender Oocardium-Aggregate. Abiotische Kalzitfällung unterhalb des obersten Teils einer Kalzit-Röhre ergibt zuletzt grosse Sparit-Kristalle, unabhängig vom initialen Kristall-Habitus nahe dem oberen Ende der Kalzit-Röhren. Bachabwärts wird die initiale Kristallisation mit zunehmender Kalzit-Übersättigung bzw. CO2-Entgasung massiver; im mittleren und unteren Abschnitt des Baches bestehen die emporwachsenden Fronten der Oocardium Kalzit-Röhren zumeist aus rhombohaidralem (idiomorphem) Kalzit. Im mittleren und unteren Abschnitt des Baches wurden die höchsten vertikalen Raten der Oocardium-Verkalkung von ca. 5 mm/Jahr festgestellt.
Diatomeen könnten von der Gemeinschaft mit O. stratum profitieren, da der Oocardium-Kalzit einen räumlich differenzierten Siedlungsgrund bereitstellt. Umgekehrt könnte O. stratum zumindest von dichteren Diatomeen-Besiedlungen profitieren, da diese eventuell zur lokalen Kalzit-Übersättigung beitragen. Diese Untersuchung bekräftigt, daß O. stratum ein effizienter Biokalzifizierer ist, der – zumindest unter optimalen Bedingungen – potentielle Raumkonkurrenten wie Zyanobakterien und Moose fernhalten bzw. überwachsen kann. Fossile Quellkalke, die bisher i. W. als zyanobakteriale Bildungen aufgefasst wurden, könnten eine bislang nicht erkannte ‘eukaryotische Komponente’ enthalten oder fallweise sogar grossteils von eukaryoten Mikro-Kalzifizierern gebildet worden sein. Aufgrund der praktisch ubiquitären diagenetischen Überprägung primärer Kristallisations-Gefüge können Vorkommen von Oocardium-Kalzit mit Quellkalken anderen Ursprungs verwechselt werden.