In dieser Arbeit wird die komplexe Wechselwirkung zwischen orographisch induzierten Fallwinden, in den Alpen als Föhn bekannt, und Kaltluftseen (Cold Air Pools, CAPs) untersucht. Föhn zeichnet sich durch relativ warme und trockene Luftmassen, hohe Windgeschwindigkeiten und oft starke Turbulenz aus. Im Gegensatz dazu wird ein CAP als eine bodennahe Luftschicht mit relativ kalter Lufttemperatur und hoher statischer Stabilität charakterisiert, welche sich in einer topografischen Senke oder einem Tal befindet. Diese potentiell kältere Luftschicht kann verhindern, dass die potentiell wärmeren Föhnwinde den Talboden erreichen. CAPs entstehen oft durch nächtliche Abkühlung vor Aufkommen des Föhns. Daher kann in den frühen Stadien eines Föhnereignisses häufig eine komplexe Wechselwirkung zwischen der Föhnströmung und dem darunter liegenden CAP beobachtet werden. Allerdings sind CAPs nicht nur im Früh-, sondern auch im Spätstadium eines Föhnereignisses relevant, da ihre nächtliche Regeneration zu vorübergehenden Föhnpausen am Talboden führen kann. Die Übrgangszone zwischen CAP und Föhn weist häufig starke horizontale und vertikale Windscherung, starke vertikale Gradienten der statischen Stabilität und starke Turbulenz auf. Daher stellt die Erfassung turbulenter Prozesse, wie z.b. Kelvin-Helmholtz Instabilitäten welche an dieser Föhn-CAP-Grenzfläche wirken, eine Herausforderung nicht nur für numerische Wettermodelle sondern auch für Messinstrumente dar. Neben der turbulenten Erosion des CAP durch die Föhnströmung von oben nach unten kann ein CAP auch durch Erwärmung von unten, verursacht durch den sensiblen Wärmestrom, sowie durch horizontale Advektion durch die Föhnströmung entfernt werden. Um den Zeitpunkt des Einsetzens und Abklingens des Föhns besser vorhersagen zu können, müssen die damit verbundenen atmosphärischen Prozesse quantifiziert und besser verstanden werden.
Um ein besseres Verständnis dieser Prozesse zu erreichen, wurde die Feldkampagne des Forschungsprojekts Penetration and Interruption of Alpine Foehn (PIANO) im komplexen Gelände rund um Innsbruck, Österreich, durchgeführt. Dieses Gebiet wird häufig von starkem Südföhn beeinflusst. Bei solchen Ereignissen liegt Innsbruck am Ausgang des Wipptals, einem der föhnanfälligsten Täler der Alpen. Die PIANO-Feldkampagne fand zwischen Herbst und Winter 2017 statt und mehrere Föhnereignisse konnten in dieser Zeit im Rahmen sogenannter Intensive Observation Periods (IOPs) untersucht werden. Während der Feldkampagne wurde in der Umgebung von Innsbruck eine Vielzahl von Messinstrumenten betrieben. Diese Instrumentierung reichte von automatischen Wetterstationen über Radiosondensystemen tzu Doppler-Wind-Lidaren mit koordinierten Scanstrategien. Ergänzend zu den Messungen wurden mesoskalige Simulationen und Large-Eddy Simulationen (LES) mit dem numerischen Weather Research and Forecasting (WRF) Modell durchgeführt. Durch die hohe Auflösung mit horizontalen Gitterabständen von bis zu etwa 13 m, welche in komplexen Gelände selten erreicht werden können, sind diese LES für die Alpenraum einzigartig.
Obwohl die LES Defizite bei der Erfassung der genauen Entwicklung des Föhnereignisses aufweist, sind diese turbulenzauflösenden Simulationen ein wertvolles Werkzeug um Lücken in den Messdaten zu schließen. Die Simulationen werden auch zur Quantifizierung verschiedener Prozesse verwendet, welche den Wärmehaushalt des CAP im Inntal bestimmen. Zu diesen Prozessen gehören die Advektion warmer oder kalter Luft durch die mittlere Strömung, die Erwärmung oder Kühlung des CAP aufgrund der Konvergenz oder Divergenz des im Modell explizit aufgelösten sowie des parameterisierten Anteils des turbulenten Wärmeflusses und eine Erwärmung oder Kühlung aufgrund von Strahlungsprozessen und mikrophysikalischen Prozessen. Es wurde festgestellt, dass die Erwärmung des CAP durch Turbulenz, welche durch die Föhnströmung hervorgerufen wird, eine entscheidende Rolle spielt. Dies gilt insbesondere in der Nähe der Taloberfläche im östlichen Teil der Stadt sowie nahe des Stadtzentrums, welches stromabwärts des Wipptalausgangs liegt und daher direkt vom Föhn aus dem Wipptal betroffen ist. Während der Anfangsphase der Föhn-CAP-Interaktion ist der CAP im Inntal durch eine geringere räumliche Heterogenität des CAP im Inntal gekennzeichnet, wobei der CAP im Stadtzentrum aufgrund der turbulenten CAP-Erosion seichter ist als östlich und westlich des Stadtzentrums. Dieses geringere Dicke des CAP im Sadtzentrum impliziert einen horizontalen Temperaturgradienten entlang des Inntals, der zusammen mit dem sogenannten vorföhnngen Westwind zu einer schwachen Kaltluftadvektion vom weniger gestörten CAP westlich (stromaufwärts) von Innsbruck in Richtung Stadtzentrum führt. Somit gleicht diese Kaltluftadvektion die turbulente Erwärmung eine Zeit lang aus und verzögert den Föhndurchbruch im Stadtzentrum im Vergleich zum Ostteil der Stadt, wo die Advektion tendenziell das umgekehrte Vorzeichen hat. Die numerischen Simulationen zeigen zudem, dass einzelne Beiträge zur Erwärmung oder Abkühlung des CAP stark raum- und zeitabhängig sind, den Nettoeffekt weit übersteigen können und sich daher gegenseitig kompensieren können. Mit anderen Worten: Der Wärmehaushalt des CAP wird durch ein empfindliches Gleichgewicht oder ein schwaches Ungleichgewicht weitgehend kompensierender Prozesse bestimmt. Dies stellt eine Herausforderung für operationelle numerische Wettervorhersagemodelle dar, die ausschließlich auf Parameterisierungen turbulenter Prozesse basieren. Darüber hinaus ergab diese Arbeit, dass horizontale turbulente Wärmeflüsse für die CAP-Erosion ebenso wichtig sein können wie der vertikale turbulente Wärmefluss. Erstere werden jedoch in den meisten aktuellen Turbulenzparametrisierungen nicht angemessen berücksichtigt. Zusammenfassend lieferte die Kombination fortschrittlicher Beobachtungssysteme mit neuartigen LES mit einem horizontalen Gitterabstand im Dekameterbereich neue Einblicke in komplexe Grenzschichtprozesse über komplexem Gelände im Allgemeinen und die Föhn-CAP-Wechselwirkung im Besonderen.