Seit ihrer Erfindung zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind Kunststoffe ein fester Bestandteil der modernen Welt geworden. Sie haben diese aufgrund ihrer Vielseitigkeit, Kosteneffizienz und Haltbarkeit geprägt wie kein anderer Werkstoff vor ihnen. Kunststoffe sind allgegenwärtig. Doch genau die Eigenschaften, die Kunststoffe heute unverzichtbar machen, stellen auch eine erhebliche Gefahr für die Umwelt dar. Es wird immer mehr Plastik produziert - und damit auch immer mehr Plastikmüll. Das liegt hauptsächlich an der fehlenden Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe. Kunststoffabfälle verbleiben in der Umwelt und zerfallen in immer kleinere Partikel, so genanntes Meso-, Mikro- und Nanoplastik. Vor allem Fragmente von Mikroplastik (MP) wurden schon in allen Lebensräumen und einer Vielzahl von Organismen nachgewiesen. Sie haben bereits negative Auswirkungen auf die Lebenswelt gezeigt. Unter anderem können sie nach dem Verschlucken bei Organismen zu Entzündungen und dem Tod führen, mikrobielle Gemeinschaftsstrukturen verändern und als Transportvektoren für Krankheitserreger dienen.
MP wurde schon in entlegenen Regionen wie der Arktis gefunden, aber es ist bis heute nicht nachgewiesen, wie die Partikel dort hingelangen. Einige Studien vermuten einen atmosphärischen Transport aus Agglomerationen südlich der Arktis, wie etwa Europa. Andere Studien gehen davon aus, dass Meeresströmungen MP in die Arktis transportieren und arktische Raubtiere als Biovektoren fungieren, welche das MP wieder an Land verbreiten. Bislang gibt es keine Daten über die atmosphärische MP-Belastung der terrestrischen Arktis und nur wenige Daten über arktische Raubtiere. Um diese Wissenslücke zu schließen, führten wir eine Segelexpedition nach Svalbard, Jan Mayen und Grönland durch und sammelten Luft-, sowie Fäkalproben in der terrestrischen Arktis. Wir haben ein automatisiertes µFTIR-Spektroskopie-Verfahren angewendet, mit Hilfe eines Bruker Lumos II Mikroskop mit Flächenbildsensor und Maschinellem-Lernalgorithmus für die Partikeldetektion. Im Vergleich zum Standardverfahren der visuellen MP-Identifizierung durch Menschen und der manuellen Spektroskopie, konnten wir damit die Auflösung unserer Analyse stark erhöhen.
Nach unserem Wissen ist dies die erste Studie, die in der arktischen Atmosphäre aktiv nach MP-Partikeln gesucht hat. In Ittoqqortoormiit, Grönland, konnten wir 13 MP-Partikel/m³ Luft feststellen, wobei die Konzentration mit zunehmender Entfernung vom Dorf abnahm (6 MP-Partikel/m³ Luft in 1,65 km und 3 MP-Partikel/m³ Luft in 3,6 km Entfernung). Der am weitesten entfernte Beprobungsort, der Beerenberg auf Jan Mayen, wies eine atmosphärische MP-Konzentration von 1,33 MP-Partikeln/m³ auf. Unsere Daten bestätigen möglicherweise das Vorhandensein von MP in der arktischen Atmosphäre und deuten auf einen Gradienten hin. Lokale Kontaminationsquellen scheinen einen stärkeren Einfluss auf den atmosphärischen MP-Gehalt zu haben als der atmosphärische Ferntransport. Angesichts des Mangels an lokalen Kontaminationsquellen gehen wir jedoch davon aus, dass in erster Linie der atmosphärische Ferntransport für die Ausbreitung von MP in die Arktis verantwortlich ist. Wir fanden in unseren Daten aber auch eine beträchtliche Menge an unerwünschten Verunreinigungen, was wahrscheinlich auf unsere neuartige Probenahmemethode mit dem Sartorius AirPort MD8 als aktivem Luftprobennehmer zurückzuführen ist. Angesichts dieser Tatsache erfordern unsere Ergebnisse eine vorsichtige Interpretation. Weitere Analysen der verbleibenden Expeditionsluftproben sind erforderlich, um die Zuverlässigkeit unserer Ergebnisse zu überprüfen. Um die Daten künftiger Beprobungen nach atmosphärischem MP verlässlicher zu machen, ist es sinnvoll, die in der Diskussion beschriebene, verbesserte Probennahmemethodik anzuwenden.
In den Fäkalien arktischer Raubtierarten konnten wir unterschiedliche Mengen an MP-Partikeln nachweisen: 240,8 MP-Partikel/g im Guano der Dreizehenmöwe (Rissa tridactyla), 675,8 MP-Partikel/g im Kot des Polarfuchses (Vulpes lagopus) und 71,9 MP-Partikel/g im Kot des Walrosses (Odobenus rosmarus). Diese Ergebnisse zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit MP aufzunehmen zwischen arktischen Raubtiere unterscheidet. Polarfüchse, die sich opportunistisch ernähren, nehmen aufgrund ihrer vielfältigen Beute und des versehentlich möglichen Verzehrs von Plastikmüll mit hoher Wahrscheinlichkeit viel Plastik auf. Dreizehenmöwen zeigen ebenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit der MP-Aufnahme, vermutlich durch trophischen Transfer von ihren Hauptbeutetieren, die nachgewiesenermaßen MP-Partikel enthalten. Walrosse, benthische Filtrierer, weisen dagegen ein geringeres Potenzial zur MP-Aufnahme auf, zeigen aber dennoch eine beachtliche MP-Belastung. Im Vergleich zu ähnlichen Studien zeigen unsere Daten eine 46-, 22.230- bzw. 2.115-fach höhere MP-Belastung in Dreizehenmöwen-, Polarfuchs- und Walrossfäkalien. Wenn man die Prävalenz großer, gefärbter MP-Fasern in den anderen Studien berücksichtigt und unsere Daten entsprechend anpasst, zeigen diese immer noch eine 5-, 120- bzw. 131-fach höhere MP-Belastung. Dies unterstreicht die Bedeutung der automatischen MP-Analyse gegenüber der visuellen Standardmethode. Die visuelle Identifizierung ist anfällig für menschliche Fehler und neigt dazu, große, gefärbte MP-Fasern überzubetonen - und vernachlässigt dabei über 97 % der tatsächlich in arktischen Raubtierarten vorhandenen MP-Partikel. Zukünftige Studien sollten höher auflösende Analysemethoden anwenden, wie etwa unseren automatisierten Ansatz. Dieser zeigt eine deutlich höhere MP-Belastung arktischer Raubtiere, als bislang in der wissenschatlichen Literatur angenommen. Die große Menge an MP-Partikeln in ihren Fäkalien deutet darauf hin, dass arktische Raubtiere als Biovektoren für die MP-Verbreitung fungieren. Weitere Analysen der verbleibenden Sedimentproben der Expedition im Umkreis der Defäkationsstellen sind jedoch notwendig, um das Ausmaß ihrer potenziellen MP-Verbreitung zu beurteilen.