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Titelaufnahme

Titel
Individuelle Verantwortung für globale strukturelle Ungerechtigkeiten: Eine machttheoretische Konzeption
VerfasserJugov, Tamara
Enthalten in
Zeitschrift für Praktische Philosophie, Salzburg, 2017, 4 (2017), 1, S. 151-182
Erschienen2017
MaterialOnline-Ressource
SpracheDeutsch
DokumenttypAufsatz in einer Zeitschrift
Schlagwörter (DE)Strukturelle Ungerechtigkeit / Verantwortung / Iris Marion Young / Dominanz / Macht
Schlagwörter (EN)Structural injustice / responsibility / Iris Marion Young / domination / power
ISSN2409-9961
URNurn:nbn:at:at-ubs:3-5293 
DOI10.22613/zfpp/4.1.7 
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Zusammenfassung

Der Beitrag entwickelt ein neues, machtbasiertes Verantwortungsmodell für die individuelle Verstrickung in globale strukturelle Ungerechtigkeiten. Er geht von dem Problem aus, dass die meisten Bedingungen für die Zuerkennung moralischer Haftbarkeitsverantwortung in Fällen der individuellen Verstrickung in globale strukturelle Übel nicht erfüllt sind: Wenn eine Person beispielsweise ein unter ausbeuterischen Bedingungen produziertes T-Shirt kauft, so ist diese Handlung für das Eintreten der strukturellen Ungerechtigkeit weder hinreichend noch notwendig, die Person hat die strukturell ungerechten Effekte ihrer Handlung häufig nicht intendiert und kann die Folgen ihrer Handlungen epistemisch nicht ausreichend gut überblicken. Nicht zuletzt ist ihre Partizipation an der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung unfreiwillig. Der Beitrag diskutiert, welche Lösung Iris Marion Young in ihrem Modell kollektiv geteilter Verantwortung für dieses Problem vorgeschlagen hat, und argumentiert, dass hier insbesondere in Hinblick auf das Kriterium der kausalen Relevanz Probleme bestehen bleiben. Davon ausgehend schlägt der Beitrag ein ergänzendes, machttheoretisch begründetes Modell der Zuerkennung moralischer Haftbarkeitsverantwortung vor: Verantwortung wird diesem zufolge nicht nur in Bezug auf einzelne Handlungen konzeptualisiert, sondern auch in Bezug auf die strukturell generierte und generalisierte Handlungsfähigkeit, die Personen aufgrund ihres Status in Regelsystemen gegenüber anderen Personen besitzen. In diesem Sinne wird einzelnen Personen Verantwortung nicht nur für die kausalen Effekte ihrer Handlungen, sondern bereits für die kausalen Effekte der Annahme ihrer sozialen Macht über andere übertragen. Ich argumentiere, dass Personen für ihre soziale Macht gegenüber anderen verantwortlich gemacht werden können, weil diese Macht die generalisierte Vorbedingung ihrer individuellen Handlungsfähigkeit darstellt und weil sie ihre sozial konstituierte Handlungsfähigkeit durch jegliches Handeln implizit annehmen. Soziale Macht wird Personen durch soziale Regeln übertragen: Auch dominierende Macht besitzt jemand, ohne dafür notwendigerweise etwas tun zu müssen. Sobald eine Person ausgehend von ihrer sozialen Macht handelt, reproduziert sie damit notwendigerweise die sozialen Konstitutionsbedingungen ihrer Macht über andere. Genauer stellt die Annahme ihrer sozialen Macht eine NESS-Bedingung in Hinblick auf die Reproduktion derjenigen strukturell ungerechten sozialen Regeln dar, die ihr Macht erst übertragen haben. Dabei können Personen meistens vorhersehen, dass die Annahme ihrer sozialen Macht, d.h. ihrer sozialen Statusfunktionen globale strukturelle Ungerechtigkeiten auf kausal relevante Art und Weise reproduziert. Obwohl die Annahme sozialer Statusfunktionen normalerweise unfreiwillig ist, kann Personen für diese kompensatorische Verantwortung übertragen werden, insofern sie die ungerechten Effekte dieser Annahme vorhersehen können. Da die Effekte unserer Statusannahme kausal und epistemisch kollektiv geteilt sind, schlage ich vor, diese Form der Verantwortung als eine kollektiv-geteilte zu verstehen. Um strukturellen Ungerechtigkeiten abzuhelfen, müssen Personen entsprechend dazu beitragen, handlungsfähige kollektive Akteure – d.h. gerechte politische Institutionen – zu bilden.

Abstract

This paper suggests a novel, power-based model of moral blame-responsibility for individuals’ implication in global structural injustices. It starts from the problem that most conditions for the attribution of moral blame-responsibility are not met in cases of individual involvement in global structural injustices. For example, when a person buys a T-Shirt that has been produced under exploitative conditions, her action is neither necessary nor sufficient for the structural injustice to come about, often she has not intended the structurally unjust effects of her action and cannot foresee them. Last but not least, her involvement in the global economic order is non-voluntary. This paper discusses the solution Iris Marion Young has suggested for such problems in her social-connection model of responsibility, but finds it wanting with regard to criteria of causal relevance. It then suggests an own solution to these difficulties by sketching a power-based model of moral blame-responsibility. This model conceptualizes individual blame-responsibility not just with regard to the effects of individual actions but also with regard to individuals’ structurally generated, generalised and relational capacity for action. Such relational capacities, or in short: social power, is transferred onto individuals by social rules and amounts to a social status vis-à-vis others. I suggest that moral responsibility for the adoption of their social status-functions can be attributed to individuals precisely because their social power constitutes the precondition of their generalised capacity for action. Accordingly, any kind of action amounts to an implicit acceptance and adoption of one’s social status-functions vis-à-vis others. One must not intentionally will to exercise one’s (dominating) social power over others in order to hold it. However, as soon as a person acts and thereby adopts her social status-functions with regard to others, she rules, which have granted her social power in the first place. More precisely, her causal contribution amounts to a NESS-condition for the maintenance and reproduction of the unjust social structure. Normally, individuals can foresee the causally relevant contribution their adoption of social-status-functions constitutes. Even though such adoption is non-voluntary, persons can be attributed compensatory responsibility for it, as long as they were able to foresee its structurally unjust effects. Since such effects are causally and epistemically collectively shared ones, I suggest to conceptualise the relevant type of responsibility as a collectively shared one as well. In order to help overcome structural injustice, individuals need to contribute to build collective agents – namely just political institutions –, which are capable of non-dominating collective action.

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