Um die Mechanismen des heutigen Klimawandels zu verstehen und zukünftige Klima-Szenarien zu simulieren, braucht es ein detailliertes Wissen über vergangene Klimaänderungen. Das holozäne Klima und die prähistorische, anthropogene Nutzung der Landschaft hatten einen großen Einfluss auf die vergangene Vegetationszusammensetzung und -entwicklung und führten schlussendlich zur heutigen Kulturlandschaft Europas. Hochalpine Ökosysteme wie in den Alpen Europas sind deshalb ein ideales Forschungsfeld. Mit den Methoden der Palynologie lassen sich vergangene Floren- und Vegetationsveränderungen rekonstruieren, und so die möglichen Ursachen eruieren. In Kombination mit archäologischen Ergebnissen lässt sich der Einfluss des Menschen und dessen Haustiere an Hand von palynologischen Resultaten quantifizieren. In der vorliegenden Arbeit wurden die Standardmethoden der Palynologie zusammen mit der Analyse mikroskopischer Holzkohle und von Extrafossilien (engl. non-pollen palynomorphs) an vier Torf-Stratigraphien an Hand eines Nord-Süd-Transektes durch das Silvretta-Gebirgsmassiv und dem Unterengandin in der Schweiz angewendet. Seit 2007 wurden in diesem Gebiet mehr als 200 archäologische Fundstellen oberhalb von 1800 m ü. M. gefunden und untersucht. Die erste menschliche Präsenz konnte dabei für die Mittelsteinzeit für die Zeit vor ca. 11500 Jahren nachgewiesen werden.
Die in den vier untersuchten Mooren erarbeiteten palynologischen Resultate decken den Zeitraum der letzten 10450 Jahre ab, und wurden in der Form von vier Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert bzw. eingereicht. Die Ergebnisse wurden zudem mit den archäologischen Erkenntnissen aus der Region, sowie mit Proxy-Daten aus den Gebieten der Makrofossilanalyse, der Dendrochronologie, Pedologie sowie der Röntgenfluoreszenzanalyse verglichen. Alle diese Methoden tragen zur Rekonstruktion der holozänen Waldgrenze in den Silvretta-Alpenbei, wie zum Beispiel im Hinblick auf die Herabsetzung der Waldgrenze von 2300 auf 2150 m ü. M. vor ca. 4200 Jahren. Weitere wichtige, und klimabedingte Wechsel in der Vegetationszusammensetzung wurden für die globale Kältephase vor 8200 Jahre, für die v.a. im Mittelmeerraum nachweisbare, trocken-kalte Periode vor ca. 4200 Jahren, und für die kalt-feuchte Zeit um vor ca. 2800 Jahren nachgewiesen, letztere wohl bewirkt durch eine Reduktion der solaren Aktivität. Erste weidewirtschaftlichen Aktivitäten datieren möglicherweise zurück in die Jungsteinzeit (vor 6200 bis 4900 Jahren), wurden jedoch ab der Frühbronzezeit (vor 4200 bis 3800 Jahren)stark intensiviert. Mit größter Wahrscheinlichkeit war die prähistorische Landwirtschaft im Unterengandin sowie die Weidewirtschaft in den Höhenlagen des Silvretta-Gebirgsmassivsauf die Anwendung von Feuer zur Öffnung der dichten Wälder angewiesen. Eine weiter Intensivierung der Weidewirtschaft ist während der Eisenzeit um ca. 600 v. Chr. festzustellen. Während der Römerzeit und der Frühbronzezeit war die Silvretta-Gegend hingegen weniger stark beweidet, dies möglicherweise im Zusammenhang mit der Klimaverschlechterung des sogenannten „Bond-Event-1“. Andererseits hat die mittelalterliche Wärmezeit die Etablierung der heutigen neuzeitlichen Kulturlandschaft und der heutigen Weidewirtschaft erlaubt, selbst wenn die Kaltphase der sogenannten Kleinen Eiszeit (von ca. 1350–1850 n. Chr.) negative Effekte auf den Kulturpflanzenanbau gehabt haben dürfte.